Unter der Trikolore 1793.
Von R. Rudolf Rehanek.
Friede den Hütten, Krieg den Schlöſſern.“
Proklamation der franz. Revolution 2. Juni 1793.
Eiſig blies der ſcharfe Nordoſt über die Weſtrichberge und ſtob pfeifemd durch das
dürre Aſtwerk der Pappeln, die ſich geſpenſterhaft am Saarufer emporreckten. . ...
Ueber die Landſtraße, die von Bübingen nach Güdingen führt, zog ein kleiner
Trupp „Gensd'armes nationales“.
„Bertracktes Hundewetter!“ knurrte einer, blies ſich in die ſtarren Handflächen und
ſtapfte polternd durch den feſtgefrorenen Straßenkies.
„Willſt Du wohl, daß uns auch dieſer Vogel dur; das Gebüſch geht, Citoyen
Gerard?“ ruft halblaut der führende Unteroffizier und weiſt mit dem kurzen Pfeifen-
ſtummel auf ein kleines Dörfchen, deſſen Umriſſe allmählich in der Dämmerung auf-
tauchen.
Ueber das Geſi<ht des verwarnten „Citoyen“ aber huſcht ſekundenlang ein grim-
miges, ſc<hadenfrohes Grinſen: „Geſchieht ihm ſchon recht, dem Bluthund. Jſt das die
Liberte, Egalite? Uns jagt er hinaus in dieſe Hundekälte, während er, der Volks-
repräſentant, ſiH zur Stunde wohl in den Daunenbetten der verhaßten Bourgeois
rekelt?“ =- Und verbiſſen folgt er den ſc<läfrig vor ſich herdöſenden Geſtalten ſeiner
Kameraden.
„Hallo! Aufgemacht -- oder ſollen wir mit den Kolben etwas nachhelfen?“ brüllt
die Stimme in die Naht, während gleichzeitig die Stiefel dröhnend gegen die ſchwere
Cichentüre poltern und die Dorfhunde laut aufheulen.
Erſchrekt iſt der Dorfmeier Lohmüller von Güdingen aufgefahren; mit zittern-
den Händen hat er den ſchweren Türriegel zurückgeſchoben und ſteht nun vor den
Sanscoulotten.
„3m Namen der Republik! -- Meyer Lohmüller, Sie ſind verhaftet!“ -- Laut hat
es der Führer gerufen; gleichzeitig fallen einige ſeiner Leute über den Dorfmeier her,
um ihn zu feſſeln.
Wehklagend waren die Angehörigen dem Meier gefolgt. Aufſchreiend umſchlang die
Gattin ihren Mann und ſuchte ihn mit Gewalt aus den Händen der Soldaten zu
befreien. Die Kinder aber klammerten ſih wie ängſtliche Küken ſchußzſuhend an die
Mutter.
Der ungewohnte nächtliche Lärm hatte die Nachbarn herbeigelokt, die nun in ohn-
mächtiger Wut die Gruppe umſtanden und die Unſchuld des Verhafteten erregt zu be-
zeugen ſuchten. Roh aber ſchnitt ihnen der Unteroffizier jede Fürbitte ab: der Dorf-
meier iſt von den vier Bübinger Bürgern Joh. Moor, Chr. Glatt, Peter Ferſen und Jakob
Moor als Verräter und Feind der Republik denunziert worden und habe nun ohne
Widerrede nac< Saarbrücken zu folgen, wo ſich das weitere wohl finden werde. Einer
der Dorfleute wollte ſic des von Natur äußerſt fur<htſamen und zu jeder Verteidigung
unfähigen Meiers ganz beſonders annehmen. Unter der Verſicherung, die ganze Ge-
meinde würde ſich am nächſten Tag zum Repräſentanten begeben, um Zeugnis für den
Unglücklichen 'abzulegen, bat er, dem Angeſchuldigten doh die Schande des Gefängniſſes
zu erſparen. Sie müßte ihn „bei ſeiner Furchtſamkeit und Unſchuld tödlich erſchrecken“,
worauf der Unteroffizier halb ſcherzend erwiderte, wenn der Dorfmann ſich ſo um das
Schickſal des Meiers kümmere, ſei er wohl mitſchuldig, weshalb er dem Verhafteten
auc<4 ins Gefängnis folgen ſolle. Der unevſchrockene Verteidiger, ein biederer, braver
Landmann namens Nik. Huppert willigte -- von der Unſchuld des Meiers feſt über-
zeugt -- ohne weiteres ein, worauf ſich die Truppe aufmachte und mit den Gefangenen
nah Saarbrücken marſchierte, wo ſie im herrſchaftlihen Kutſchenhaus in der Talſtraße
untergebracht wurden.
Bereits am nächſten Morgen kamen die Angehörigen in Begleitung ſämtlicher Dörfler
von Güdingen nach Saarbrücken, um ſich der unſchuldig Eingeſperrten anzunehmen. In
einer von ſachkundigen Händen bearbeiteten Eingabe an den Repräſentanten wurde
angeführt, daß der Meier doh bis dato allen Wünſchen der franzöſiſchen Okkupations-
behörden willig und ohne Widerrede Folge geleiſtet habe; die vier Denunzianten aber
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