Full text: 1930 (0008)

Saarkalender für das Jahr 1930 
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Das Sdhjikſal eines Schlipſes. 
R. 
Von Lisbeth Dill. 
„Jed Johr, wanns Weihnachte wird“, ſagt Tante Alwine aus Sulzbach, „un alle Leit 
ſi dummele miſſe, for die paar Dek<Her und Kiſſe fertig zu mache, komme ſie am 
letſ<t2 Dag in meine Lade und bringe mir ihr verbruddelt Dinges. A< Gott, mei l;eb 
Frau Maſer, mache Sie mir um Himmelswille doch das Kiſſe do fertig, ih han kei Zeit 
meh dazu.“ Ja, ſo waren ſie, die andern Damen. Aber ſie, die das ganze Jahr des 
Morgens, wenn es in ihrem Handarbeitsgeſchäft ſtill war, auf ihrem Fenſtertritt der 
Bahnhofſtraße ſaß, ſie fing ſchon im Jult mit ihren Weihnachtsarbeiten für Neffen und 
Nichten an. . . 
Tante Alwine war eine Dame mit Grundſätzen. Und wenn es dann Winter wurde 
und draußen die Chriſtbäume und die weißbeſtreuten Stollen dur<h die Straßen wanderten 
und die gelben Poſtwagen mit dem kleinen trüben Lichthen paketbeladen durch die be- 
ſchneiten Straßen ſ<wankten, hatte ſie alle Werhnachtspakete abgeſchickt und ihre Prä- 
fente lagen pünktlich auf den Tiſchen der Neffen und Nichten. So auch dieſes Jahr. Nur 
für den windigen Bob, der in Leipzig ſtudierte, aber mehr in Bars und Tanzdielen glänzte 
als in Hörſälen, wollte ihr nichts einfallen. Er hatte große, dunkle, mandelförmige Augen 
und trug ſich meiſt der Mode und den Jahreszeiten voraus. Endlich fand ſie in den Tiefen 
ihr2x Schubläden ein prachtvolles Seidenband, ſteif wie ein Brett, zimtfarben und blau- 
grün, in prachtvoll ſchimmernden Regenbogenfarben, was man im allgemeinen „ſc<hang- 
ſchang“ nennt. Sie fertigte einen koketten Schlips daraus, deſſen Schnitt ſie dem Beiblatt 
ihrer Modenzeitung „Mit was erfreue ich meinen Gatten zu Weihnachten?“ entnahm und 
ſchickte ihn nach Leipzig an ihren Neffen. 
Poßkdonner, ſagte Bob, als er dieſen Schlips erblickte. Das iſt ja tieriſ<! Da hat ſich 
Tante Alwine aber mal angeſtrengt. Seine Wirtin fand ihn „ſähre eehenart<“. Er 
kauft2 ſid zu dem Slips ſofort den paſſenden Mantel, zimtfarbig mit grauſchimmern- 
den Knöpfen. Als er zum erſtenmal damit auf der Corpskneipe erſchien, ließ ihn der 
Erſthargierte herausbitten. „Sagen Sie mal, was haben Sie denn da an? Bitte, haben 
Sie die Güte, morgen mit einer anderen Krawatte zu erſcheinen, dieſer Schlips = =- 
ich muß mal ſchnell einen Kognak trinken. . . “ 
Darauf wickelte Bob den Slips ein und ſandte ihn ſeinem Bruder, der Chefarzt 
eines Krankenhauſes in Putzig war. In Pußzzig würde er ſicher Aufſehen erregen. Sein 
Bruder war in Modefragen nicht ſo auf der Höhe. Er fand ihn vielleicht ſogar ſchön. . . 
Ueber Geſchmack läßt ſich ja nicht ſtreiten. Die Tante aus Sulzbach hatte thn ja auch 
ſchön gefunden. . . Sein Bruder wickelte den farbenprächtigen Schlips erſtaunt aus dem 
Umſchlag. . . Sieh mal, Erna, ſagte er zu ſeiner Frau, da hat ſih Bob aber einmal an- 
geſtrengt, troßdem er nie bei Kaſſe iſt. Findeſt Du das nicht rührend von Bob? 
"Seine Frau ſagte nichts. Sie fertigte die Schlipſe ihres Mannes ſtets ſelbſt aus alten 
Bluſen ay, weshalb ſie zwar nie ſaßen, aber ſie wählte immer dezente Farben, die zu 
dem ernſten Beruf eines Arztes paßten. Aber ihr Gatte hatte den farbenprunkenden 
Schlips ſhon umgeſchlungen und fuhr ſtolz damit zur Klinik. Unterwegs fiel ihm auf, 
daß ihn die Damen in der Straßenbahn anſtarrten, als hätten ſie ihn noh mee geſehen. 
Auch die Schaffner richteten ihr Auge wie hypnotiſiert auf ſeinen Schlips, die Schweſtern 
und Aſſiſtenzärzte erbläßten vor -- -- Schreck oder Neid, das konnte man nicht unter- 
ſcheiden. . . Und die Patienten ſtarrten immerfort auf ſeinen Hals und gaben verwirrte 
Antworten. 
Anderen Morgens, als er ſich die Hände im Vorzimmer wuſch, hörte er eine Schweſter 
zur anderen ſagen: . . . Können Sie nicht mal Ihrem Chef beibringen, daß er ſich zu 
Weihnachten von ſeiner Gattin einen anderen Schlips ſchenken läßt? Mir wirds jedes- 
mal übel. . . 
Vm
	        
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