Saarkalender für das Jahr 1930
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Alt-Saarbrücker Lehrertypen und Schülerſtreiche.
Von einem, der dabei war.
Das alte Saarbrücker Pennal -=- ich denke in der Hauptſache an das alte Ludwigs-
gymnaſium -- läßt ſowohl an „Heldentaten“ der Schüler wie auch an Originalen inner-
halb der Lehrerſchaft viele andere der höheren Schulen Deutſchlands bei weitem hinter
ſich. Der „Saarkalender“ hat an alten Erinnerungen dieſer Art bereits köſtliche Sachen
der Bergeſſjenheit entriſſen, eine Tat, für die ich ihm ſehr dankbar bin. Noc< heute ge-
ſchieht es kaum, daß ſich zwei alte Schulgefährten aus der Saarbrücker Gymnaſialzeit ſo
vor etwa zwanzig Jahren treffen, ohne daß der eine oder der andere von ihnen ganz
automatiſch in Sprechweiſe und Haltung des einen oder anderen der einſtigen „Geſtrengen“
verfällt, und daß der andere dann laut lachend loslegt: „Ja, weißt du noch, damals . . .“
War da unter anderem ein hochgelehrter Profeſſor, der „Jeſchichte und Jeojraphie“,
gemeinhin „die Bux“ genannt -- er hat ſpäter, als ihn die ewigen Streiche ſeiner Zög-
linge auz Saarabien herausgegrault hatten, ein ſagenhaftes Daſein in den Bibliotheken
des Batikan geführt --, der mit flatterndem ſchwarzen Künſtlerſhlips, wehendem, allzeit
ein wenig feuchtem Schnurrbart, in dem abgeſc<habteſten aller verlotterten Anzüge daher-
hinkte. Ah ja, wie war es noch! Eines Tages hatten wir ihm einen aufgezogenen Wecker
in den eiſernen Ofen des Klaſſenzimmers geſtellt. Mitten in der Stunde natürlich trillerte
das Teufelsding los. Die „Bux“ ſtand entgeiſtert in ihrer üblichen Haltung am Katheder:
Auf einem Fuß, das eine Bein hochgezogen und ſpitz über das andere gekrümmlt, die linke
Hüfte in kühnem Bogen herausgewölbt, in der einen langen braunen Hand das unent-
behrlichz, iHmierige Notizbuch und ein Stümpchen von Bleiſtift, den anderen Arm in halb-
ägyptiſchen, eckigen Windungen zackig nach vorne geſtreckt und in drei Fingern ein un-
definierbares Etwas zu Kügelchen drehend, den Kopf wie ein Kranich ſchief zwiſchen die
Schultern gezogen. „Was iſt denn das jeweſen?“ knarrte ſeine blecherne Stimme los,
während aus dem Hintergrund Kichern und ein in langer Uebung ſyſtematiſch ab-
getöntes Brummen erklang. „Und nun ſind die Summer und Brummer auch ſchon wieder
am Werk!“ weinte die „Bux“ entſezt los und begann, vorgebeugten Rumpfes, lang-
geſtreckten ſchiefen Halſes, ſo ſchnell es nur ging, in den Gängen zwiſchen den Bänken
hin- und herzuſhießen. Ein Schüler, nicht weit vom Primus entfernt ſizend, erhob ſich
und meinte beſcheiden: „Der Pedell wird klingeln, Herr Profeſſor!“ „Aber die Stunde
iſt do<z; noch jar nicht aus,“ krähte die „Bux“ verzweifelt, worauf faſt ein ganzes Dutzend
Jür'glinge im lockigen Haar aufſprangen und uniſono riefen: „Soll ich mal nachſehen
geßen?“ Die „Bux“ griff nag dem Rettungsſtrick und entſandte einen von ihnen, der
ſchlic ßlich wiederkam und die erſchütternde Auskunft überbrachte: „Es muß ein phyſi-
kaliſ<es Experiment geweſen ſein, Herr Profeſſor!“ Und ſchon ſtand die unglück-
lich2 „Bux“ wieder an der Landkarte, den Zeigeſtok in der Hand, wie ein grotesker
Niggertänzer den Speer und erläuterte, auf das Herz Aſiens zeigend: „Dies alſo iſt der
Hindukuſd, der Hindukuſch, der Hindukuſch, kuſch . . kuſch . . kuſch . .“
Und dann war da der Höchſte der Hohen--nach manchem bitteren Leid deckt ihn
heute die kühle Erde ſchon --, der keinen anderen Ausweg wußte, um ſeinen Primanern
die züoelloſe Lebensluſt eines Horaz zu erklären, als indem er ihnen das Vorwalten des
„Kantiſ<en Jmperativs im geiſtigen Gehalt der Horazſchen Oden“ einzureden
verſuchte. Und dann der „Unkel“, jener behäbige, dicke Weiſe, der bei den griechiſchen
Philoſophen ſo ſehr zuhauſe war, daß er auch manchen Streich ſeiner Schülerſchar wie
ein Stoiker hinnahm, und jener ſ<hneidige, alte Herr mit flottem, weißem Shnurr-
bart. der heute in Bonn lebt als rüſtiger Penſionär, und deſſen Weisheiten gewöhnlich
in ven Spruch ausklangen: „Ac<h, a<h, ic< hab's ja immer geſagt: Mancher lernt's nie
und au dann nur unvollkommen.“ Kein Ende der langen Reihe! Wißt ihr noh von
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