Saarkalender für das Jahr 1929
Die Reiſe ins „Ausland“.
Der Kampf des Saarkalenders gegen die
Unkenntnis unserer Brüder im Reiche über
die Zugehörigkeit unserer Heimat zum Re-
gierungsbezirk Trier hat mit Fug und
Recht in dem Gedicht des S.-K. 1928 „Wo
liegt Saarbrücken?“ eine scharfe Satire ge-
funden. Endlich sollte man in allen Gauen
doch wissen, daß die treueſten Deutschen im
Saarreoier wohnen. Ich möchte im nach-
stehenden einen kleinen Beitrag zu der
peinlichen Ueberraschung liefern, deren nie-
derdrückende und beleidigende Wirkung
vielen von uns nicht erspart geblieben iſt.
Im Jahre 1918 war es nicht gerade an-
genehm zu reisen, besonders im Winter, die
Züge gingen nicht mehr pünktlich ab, man
konnte von Glück sagen, wenn man mit ein
paar Stunden Verspätung irgendwo lan-
dete. Ich mußte eines Tages von Saar-
brücken nach Stuttgart und ging zur Aus-
kunft und erkundigte mich nach einem Zug.
Das Schalter wurde aufgemacht, eine Män-
nerſtimme sagte kurz „Vier Uhr“ . . . Und
ſchrumm fuhr das Schalter vor meiner Nase
wieder herunter. Ich klopfte an das Fenſter
und fragte: W ann fährt der Zug? . . .
„U m vier, wie ich geſagt hab“, ſchallte es
von drinnen. Ich klopfte wieder an das
Glas . .. Und als es unwillig geöffnet
wurde, fragte ich . . „Aber doch wohl nicht
um vier Uhr nachts ? .. „N atürl i ch
nachts“ . . und ſchrumm fuhr das Fenſter
wieder herab. Ich klopfte wieder. „Aber
bitte, iſt denn das der ein zig e Zug nach
Stuttgart? Das ist nicht n atü rl i ch, das
iſt unnatürlich, daß es nur einen
Nachtzug nach Stuttgart gibt . . .“ Aber
es kam keine Antwort mehr . . .
. Da das damals die Verkehrsſprache war,
zog ich betrübt ab.
Um vier Uhr nachts befand ich mich auf
dem Bahnhof. Der Zug war, wie alle Züge
damals, bereits besetzt, nirgends ein Sitz-
platz zu finden. Endlich entdeckte ich ein
Halbabteil, das leer iſt. Ich steige ein, froh-
lockend, daß außer mir niemand auf den
Gedanken kommt, dieses Abteil zu be-
nutzen. Es hat nur einen Nachteil, es isſt
hundekalt. Aber das waren die Züge da-
mals ja immer. So hüllte ich mich fest in
meinen Mantel und wartete. Als sich der
Zug endlich in Bewegung ſetzte, sah ich,
weshalb mein Abteil leer war: die Fenſter-
scheibe fehlte nämlich, es war kein Stück
Glas mehr drin . . .
Da ich die kurzangebundene Auskunft
nicht mehr zu bemühen gewagt hatte, wußte
ich nicht, wann ich in Stuttgart a n k a m
und hatte mich verproviantiert, denn einen
Speisewagen gab es in dem Zuge nicht . . .
und ein Schaffner zeigte sich auch nicht.
Ich fragte einen Vorüberkommenden:
„Wann kommen wir denn in Stuttgart
an?“ Und er brummte etwas wie um
ein“ . . . Damals war alles möglich, so
setzte ich mich reſigniert wieder in meinen
Eiskeller zurück, wickelte mich fest in
meinen Pelz und ergab mich in mein
Schicksal, von morgens vier bis mittags
ein Uhr in diesem kalten Abteil zu ver-
bringen . .. Als wir einige Zeit gefahren
waren, ich war gerade etwas eingeschlafen,
erwachte ich und ſah hinaus. Wir näher-
ten uns einer Stadt, die mir merkwürdig
bekannt vorkam ... Hügel erschienen,
eine malerische Landſchaft, ein Fluß, ein
Park, Wiesen und Fabriken, die ich schon
einmal gesehen hatte. Da geht ein Schaff-
ner vorbei. Ich frage ihn: „Ach bitte, wann
fnind wir in Stuttgart?“
„und er erwidert im Weitergehen: „Um
ein. .....
„Um ein Uhr mittag s ?“, frage ich.
„Nein, morgens natürlich . . .“
„Um ein Uhr morgens?“, frage ich ent-
fetzt... „Morgen früh erſt?“.. ...
„Um ein“, sagte er sehr deutlich und sieht
mich an. „Mir sin gleich da ~ das kann
die net begreife . . .“ und er läßt mich
stehen. Der Zug hält und wir ſind in
Stuttgart . . . Ich konnte nicht raſch ge-
nug Koffer und Hut aus dem Netz holen ...
Als ich zurückfuhr, begab ich mich auf die
Auskunft in Stuttgart und erkundigte
y rum ein Zug nach Saarbrücken ab-
Man nennt mir einen sonderbaren Zug,
in dem ich zweimal umſteigen muß. Und
ich erlaube mir dazwiſchenzuwerfen: „Aber
hoffentlich nicht nachts ?“
„Ja,. .das Kann. . ich :Ihnes : Ust
s a g e“, erwidert man mir. „Mir könne
Ihn enur die Züg sag e von Wir t e-
berg und D o êt s Y and. Im Ver-
kehr mit dem dreckige Ausland
kenne mir uns net aus .. .' Er
klappt verdrießlich das Buch zu und das
Schalter flog sauſend herunter.