Saarkalender für das Jahr 1929
Erleichterung für die französiſche Bergverwaltung in ihren Absatzschwierigkeiten, zumal
dieser Streik mit einer Hochkonjunktur der französischen Wirtschaft zuſammenfiel. Im
Interesse der franzöſsiſchen Wirtschaft ging das französiſche Handelsbüro der Saargruben
ſo rücksichtslos vor, daß es die deutschen Lieferungen bis auf 20 und 30 Prozent ab-
droſſelte und dadurch den frachtlich günstig gelegenen Markt noch mehr der Ruhrkohle
zulrieb. Aber mit dem Abſchwächen der französiſchen Wirtſschaftskonjunktur und dem
gegen Ende 1926 einsetzenden Wiederersſcheinen der englischen Kohle auf dem französischen
Markte, tauchte aufs neue der Absatzmangel für die Saargruben wieder auf. Waren doch
die Haldenbestände, die Ende 1926 nur 60 000 Tonnen betrugen, zu Ende des Jahres 1927
bis auf 600 000 Tonnen angewachsen. Richtig betrachtet, iſt daher die französiſche Gruben-
verwaltung von einer Absatzkriſe in die andere getaumelt, abgesehen von vorübergehenden
Konjunkturbegünstigungen und Verſchleierungen der wahren Sachlage in der Zeit der
Jrankeninflation. Es ist eben nicht wahr, daß Frankreich zum Ersatz der zerſtörten
Gruben in Nordfrankreich die Saargruben benötigt, es iſt dies ein politiſcher Vorwand,
um mit den Saargruben ein wirtſchaftliches Druckmittel zu erhalten, die politische
Annexion des Saargebiets um so ſicherer zum Ziele zu führen.
Auffallend iſt angesichts des faſt ständigen Absatzmangels, daß die Saarregierung,
jedenfalls doch im Einverſtändnis mit der französſiſchen Bergwerksdirektion, ihr Einver-
ſtändnis dazu erklären konnte, den benachbarten französiſch-lothringiſchen Gruben die
unterirdiſche Ausnutzung der anſtoßenden Kohlenflöze auf saarländiſchem Boden im
Warndt pachtweiſe zu überantworten und deren Förderung damit noch erheblich zu er-
höhen. Diese Willfährigkeit im Interesse Frankreichs iſt um so bezeichnender, als Frank-
reich in der Vorkriegszeit der damals auf deutschem Boden arbeitenden Firma de Wendel
die Erlaubnis versagte, für die Gruben dieser Firma nach den auf französſiſchem Boden
liegenden Flözen eine Verbindung zu Notausgängen und zur Wetterführung unter der
Landesgrenze hindurch herzuſtellene. Damals war also eine unterirdiſche Grenzüber-
ſchreitung nur zu techniſchen Grubenverbesserungen nicht zulässig, heute aber scheut ſich
Frankreich unter Billigung der treuhänderischen Saarregierung nicht, eine solche Ver-
letzung der Saargrenze, die in Wirklichkeit die Reichsgrenze iſt, zum Zwecke der Aus-
beutung saarländiſcher Kohlenschätze durch französſiſche Privatgruben für erlaubt zu
jalten. ; ;
Die Ursache der ständigen Absatzkriſen iſt in der durch Frankreich erzwungenen
gewaltsamen Umſtellung in der Absatzrichtung der Saarkohlen zu erblicken. Hier hat
wohl das französiſche Handelsbureau nach den Instruktionen aus Paris gehandelt.
Während vor dem Kriege 33 Prozent der Förderung der Saargruben ihren ſicheren
Abſatz in Deutſchland fanden, wobei auf Süddeutschland –~ Baden, Württemberg und
Bayern = allein 29!s Prozent entfielen, war der Anteil Deutschlands 1925 infolge der
gewaltſamen Umſtellung 1925 bis auf 8 Prozent gesunken. Frantreich, das 1913 ein-
schließlich Elſaß-Lothringens nur 19 Prozent der Saarförderung gebrauchen konnte,
hatte seinen Anteil 1925 bis auf 42 Prozent gesteigert, um ihn allerdings 1926 schon
wieder auf 30 Prozent sinken zu lassen. Dieser Anteil wird noch weiter sinken. Es
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Zukunft der Saargruben kann daher nur ihre Sicherung in der Rückgabe an die
ſrüheren Besitzer und durch die Wiedergewinnung des alten Absatzmarktes finden. Je
eher wir zu diesem Ziele gelangen, je besser wird es für die Saargruben, für die Saar-
wirtſchaft und für die gesamte von ihr abhängige Arbeiterſchaft sein.
In welchem Zuſtande wir die Gruben einmal wieder zurückerhalten, iſt heute noch
nicht abzuſehen. Dem technischen Fortschritt unter den französiſchen Ingenieuren darf
man nicht allzu weit trauen, trotzdem sie ihr französſiſches Genie in ein mgöglichſt
günstiges Licht zu stellen suchen. Auch hier geht es natürlich nicht ohne ſonzöt ch:
Phraſen und Verdrehungen. Die Ergebnisse der deutschen Verwaltung zu übertreffen,
ſchien den Franzosen ein Kinderſpiel. Unsere Ingenieure sind, so heißt es in einer
1920 erschienenen franzöſiſchen Propagandaſchrift über das Saargebiet, einmütig der
Ansicht, daß das Kohlenlager im Saargebiet ſehr leicht auszubeuten iſt. Sie ver-
ſprechen eine Erhöhung der Förderung bis zur Verdoppelung. Eitele Prahlerei! Durch-
schnittlich hat sich die Förderung nur im selben Ausmaß zu halten vermocht, wobei zu
beachten iſt, daß die Belegschaft von 51 600 Mann im Jahre 1913 unter der französischen
Verwaltung bis auf 74 000 Mann erhöht worden iſt.