Full text: 1929 (0007)

Saarkalender für das Jahr 1929 
Polen. Aber das Schwarz-weiß-rot war ſchon ſelten geworden. Mehr als feind- 
ſelige Blicke wurden uns überall nachgeſandt. Dor dem Bazar. Paderevſkis Haupt- 
quartier, eine ungeheure Volksmenge. Mit Begeiſterung wurde sein Hoch auf 
Polen aufgenommen: , Fliege weißer Adler!“ 
Ein paar blutiggeſchlagene Deutſche ſuchten bei uns Schutz. Zur Kaserne führte 
uns unſer Weg. OÖtffiziersbeſprechung! Wir hatten beſchloſſen, nur die Hälfte 
unſerer Leute auf Weihnachtsurlaub zu ſchicken. Da kam gerade während der 
Beſprechung der Befehl des ſtellvertretenden V. Generalkommandos, daß ruhig 
a 1 1 e Mannſchaften auf Urlaub fahren könnten. Na, Befehl war Befehl. Aber 
ſoviel hatten wir Frontſoldaten ſchon gemerkt: Hier in Poſen war die Luft nicht 
geheuer. Alles fuhr auf Urlaub. Ich blieb als einziger Offizier des aktiven 
Bataillons zurück, verkaufte am nächſten Tage, dem 24. Dezember, noch befehls- 
gemäß unsere 200 Pferde, aber nicht an die Galizier und Polen, die mir pro Pferd 
2—3000 Mark Proviſion boten – wir Frontsoldaten hatten ja vom Schieben keine 
Ahnung + sondern an zur Entlaſſung gekommene Soldaten, die aber nachweiſen 
mußten, daß ſie oder ihre Eltern die Gäule in der Landwirtſchaft benötigten. 
Am erſten Weihnachtstag ging das Geſchieße los. Ich wohnte bei einer deutschen 
Profeſſorenfamilie, – was mag aus den lieben Leutchen geworden ſein ~. Also 
Mantel an, Piſtole eingeſteckt und dem Geschieße nach. Kaum aus dem Hauſe 
raus, sehe ich, daß mir auch ſchon zwei Mann mit Karabiner folgten. Nach einer 
Weile waren es ſchon vier. Durch die Gartenanlagen des Livoniusplatzes führte 
mein Weg. Plötzlich: „Halt! Hände hoch!“ und 14 Kerls ſtanden vor mir. Es iſt 
manchmal erſtaunlich, wie ruhig man in ſolcher Situation iſt. Instinktiv fühlt 
man: Wenn du jetzt nicht ganz kaltblütig biſt, dann biſt du verloren. So frug ich 
alſo ganz höflich dieſe Ceute, was ihr Begehr wäre. Ob ich Waffen bei mir hätte? 
Ia natürlich, eine Piſtole. Die müßte ich herausgeben, ſie ſeien ja in der Ueber- 
macht. „Ja, darum ſeid ihr ja auch ſo frech!“ Derſtohlenes Grinſen. Die Leute 
waren nachher ſogar noch so höflich, mir zwei Mann Begleitung bis zu meiner 
Wohnung mitzugeben. ~ 
Schön, alſo rauf! Noch eine Piſtole eingeſteckt, einen Mannſchaftsmantel über 
und raus zur Kaſerne. Dor der Kaſerne lag eine Schützenlinie von vielleicht 300 
Mann. Luſtig wehte über ihr eine große rotweiße Fahne. Auf Umwegen alſo rein 
in die Kaſerne. Dort regte ſich keine Hand zur Derteidigung. Im Bataillons- 
geſchäftszimmer große Beſprechung. Der gewählte Bataillonsführer, ein Leutnant 
der Reſerve 3. und ein Feldwebelleutnant A. unterhandelten mit einer polniſchen 
Delegation. Beim Hinzutreten hörte ich gerade, wie diese Herren auf den Dorſchlag 
der Polen eingehen wollten, ihnen die Hälfte der Kaſerne zu überlassen. Hier mußte 
alſo gehandelt werden! Waren die Polen erſt einmal in der Kaſerne drin, dann 
war sie auch bald ganz in ihrer Gewalt. Ich ließ durch die beiden Feldwebel der 
sogenannten Wachkompanien ihre Leute alarmieren. Da traten dann ungefähr 110 
Mann an, die Hände in der Hoſentaſche, die Mäntel auf. „Habt ihr noch ſoldatiſches 
Ehrgefühl in euch, dann geht hin und holt eure Waffen! Wer mit mir die Kaſerne 
verteidigen will, der trete vor!‘ Ganze 45 Mann waren es. Wären doch meine 
beurlaubten Leute dageweſen. Aber dieſe 45 Mann, meiſtens Rheinländer, erwieſen 
ſich nachher als ganz famose, zuverlässige Soldaten. 
Im Nu war die Kaſernenmauer beſsetzt. 
Die weitere Beſprechung mit den Polen war bald beendet. „„Ich übernahm die 
Derhandlungen, frug ſie kurz, was ſie wollten? ,Sicherheitsdienſt übernehmen.“ 
„Hab ich eben ſelbſt übernommen!“ ,,Ja, ſie hätten aber den Befehl des Stadt- 
kommandanten.“ „Wer iſt das?“ „Rechtsanwalt Michalſki.“ „Der geht mich 
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