Saarkalender für das Jahr 1929
Saarlouiſer Stimmungsbilder aus der Beſatzungszeit.
Von Robert Jennewein, Fraulautern.
Als die Franzosen 1918 in Saarlouis einzogen, ließen sie alsbald alle Straßenbegeich-
nungen ändern, da sie sich überzeugt hielten, Saarlouis für immer Frankreich einzuver-
leiben. Neben den deutschen Straßenbezeichnungen wurden Holztafeln mit französischer
Ausſschrift angebracht. Dabei wurden die deutschen Namen nicht immer einfach übersetzt,
ſo tauften sie u. a. die Bibelſtraße „Rue du Jeanne d’Arc“ und die BViktoria-Luisenſtraße
„Rue du Poincaré‘). Am Rathaus, über den Fenstern der Polizeiwache, prankte ein großes
Schild: „Hôtel de ville“. Die neuen Straßennamen fanden aber nicht den geringsten An-
klang bei den Saarlouisern bis auf einen, der heute, nachdem keiner mehr an die franzö-
siſchen Straßennamen denkt, auf seinen Geschäftsbriefen noch für die Viktoria-Luisenstraße
„Victor-Louis“-Straße (!!) sehen läßt. In einer Nacht fanden sich gelegentlich alte deutsche
Frontkämpfer und Sportler –~+ etwa 25 an Zahl ~ zusammen und rissen die Schilder ein-
fach herunter, sie flogen in die Saar oder in die Senkſchächte der Kanaliſation. Auch das
große Schild: Hôtel de ville erlebte dabei sein ruhmloſes Ende. Alles ging ohne Störung
ab, obwohl französische Poſten die Vorgänge beobachtet hatten. Ein Lump muß jedoch
Verräter gespielt haben, denn morgens um 6 Uhr waren ſchon die Namen aller Beteiligten
der franzöſsiſchen Kommandantur bekannt. Wohl nur aus dem Grunde, daß angesehene
Saarlouiser Bürger und Bürgersſöhne dabei waren, scheint man französischerseits nichts
unternommen zu haben.
Die französischen Soldaten wurden als Eindringlinge betrachtet und auch so behandelt.
Sie hatten jedoch für die ablehnende Haltung der Bevölkerung kein Verſtändnis. Manch-
mal prallten die Gemüter zuſammen. So zog eines Sonntags ein Trupp französischer Sol-
daten mit einer Korbflaſche Wein nach dem benachbarten Pikard und ließ ſich dort in
einer Wirtschaft nieder, um den mitgebrachten Wein zu trinken. Als die Kneiperei beendet
war und ihre Wirkung nicht verfehlt hatte, trollten die Marsjünger laut johlend heim-
wärts. Aus dem Saale der „Neuen Welt“ sſchallte ihnen Tanzmusik entgegen. Natürlich
wollten sie auch dabei sein. Alles Abraten des Wirtes half nichts. Sie drangen ein und
wurden auch gleich lästig. Im Saal müssen sie aber in die richtigen Hände gekommen sein,
denn zur Tür kamen sie nicht mehr hinaus, durchs Fenſter flogen sie und wurden draußen
würdig empfangen. Einige wurden ſchwer verletzt ins Garnisſonlazarett geschafft. Von
einer Untersuchung hat man zwar gehört, aber von einer Bestrafung nicht.
Vor einigen Jahren war in Fraulautern ein Radrennen. Die Straßen waren für die
Renner freigehalten, so auch die Straße von der Artilleriekaſerne Saarlouis nach Frau-
lautern. Poliziſten, Feuerwehrleute und Turner bildeten Spalier und sorgten für Ord-
nung, während auf beiden Straßenseiten dicht gedrängt Zuschauer standen. Einige franzö-
sische Soldaten gingen demonstrativ auf der Straße. Als auf allgemeinen Zuruf: „Straße
frei!“ ein alter Feuerwehrmann die Franzosen aufforderte, auf den Bürgersteig zu treten,
widersetzten sie sich und einer zog sofort sein Seitengewehr. Da gab's kein Halten mehr.
Wie auf ein Signal hagelten Stöcke und Schirme auf die Vertreter der grande nation,
das gezogene Seitengewehr flog hoch im Bogen in das hohe Gras. Die Franzosen ergriffen
die Flucht und mußten bis zur Kaserne Spießruten laufen. Nur einem gelang es, die
Wiese zu erreichen und schwimmend kam er auf das andere Saarufer. Das Rennen war
unterdeſſen zu Ende gegangen. Da erſchien von Saarlouis eiligen Schritts ein Kapitän
mit etwa 30 Mann, schwer bewaffnet. Den Franzosen scheint die Lage aber ziemlich ge-
fährlich vorgekommen zu sein, denn es wurde Halt gemacht. Zwei Mann gingen kriegs-
mäßig vor, in gewissen Abständen folgten Verbindungsleute. In der erſten Wirtschaft
wurde ein Mann ergriffen, der mit der Angelegenheit nichts zu tun hatte, er wurde von
den Helden als Gefangener zur Kommandantur Saarlouis geschleppt. Von der Reitpeitsche
soll dort ausgiebig Gebrauch gemacht worden sein. Die Ehre der siegreichen Nation war
wieder einmal gerettet.
An einem Sommerabend saß ein Saarlouiſer Herr friedlich in einer Rodener Wirt-
schaft. In einer Ecke des Lokals unterhielten sich still mehrere Burschen von etwa 20 bis
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