Full text: 6.1928 (0006)

  
Saarkalender für das Jahr 1928 
      
  
Erinnerungen aus er LU ssachritkee Gymnajiaſtenzeit 
Von Pr. W. M. in Wohlau (Schlesien). 
as war noch ein Stück „ſogenannter“ guter, alter Zeit, aus der die folgenden 
Erlebniſſe und Begebnissſe ſtammen. Das Saarbrücker Gymnasium war das alte 
„adoptierte“ Kirchengebäude, welches später nochmals, diesmal zur altkalho- 
liſchen Kirche umgebaut und eingerichtet wurde. Mauern von Meterdicke und ſtärker. 
Zimmer, die teilweiſe selbſt bescheidenen Ansprüchen an ſchulhygienische Eigenschaften 
nicht genugten, im Jahre 1875 ein Lehrerkollegium von acht „Ordentlichen Gymnasial- 
lehrern“, wie damals ihr Titel war, dem Direktor, und einem Zeichenlehrer sowie zwei 
Geistlichen als Religionslehrer im Nebenamt. Als Kastellan und Schuldiener amtete 
damals der wegen seiner Landwehr-Dienstauszeichnung vulgo ,Brotschnalle“ mit 
„Schnalljé“ als Spitznamen behaftete K. Direktor war der feinsſinnige, ruhig-vornehme 
Dr. phil. et licent. theol. Wilhelm Hollenberg. Den Professortitel hatten jeweils zu 
gleicher Zeit nur zwei der Lehrkräfte, einer den Titel „Oberlehrer“, welcher erſt Mitte 
der vierziger Lebensjahre verliehen zu werden pflegte. Die philosophische Doktorwürde 
hatten etwa die Hälſte der Gymnasiallehrer erworben. Wir Schüler haben kaum je einen 
unserer Lehrer damals tituliert. „Herr Profeſſor“ oder „Herr Doktor“ einen der Herren 
onzureden, wäre dem betreſſsenden Mitschüler mit Hohn aufgemutzt worden. Es entsprang 
dieſe Tatſache nicht etwa einer Mißachtung, aber alles Formelle war uns damaligen 
„Pennälern“ verhaßt. 
Natürlich wechſelten während meiner Gymnagſsiaſtenzeit mehrfach die Lehrkräfte, auch 
waren bald mehr als acht ,ordentliche‘“ Lehrer da, weil die Unter- und Obertertia, die 
zunächſt noch in e in e m Schulzimmer untergebracht waren, räumlich getrennt wurden 
l Ostern 1878). Meine ganze Schulzeit hindurch war bloß der Direktor Hollenberg, Prof. 
Ley, Dr. Krohn und Lehrer Otto tätig, während Prof. v. Velſen. Oberlehrer Schmitz, für 
Mathematik und Naturwissenſchaften Ciala u. a. Nachfolger erhielten. Dr. Krohn und 
Ciala waren eng besreundet und machten ſtets gemeinsame, lange Spaziergänge, wobei 
erſterer selbſt bei ſtrenger Winterkälte nie einen Ueberzieher trug. Dr. K. war in seinen 
beſten Mannesjahren ein „vir strenuus“, ein körperlich ertüchtigter, abgehärteter Mann, 
im Sommer als richtige „Wasſerratz“ bekannt, ein vorzüglicher Schwimmer, dem die 
Saar-Badeanstalt viel Förderung zu verdanken hatte, dazu trotz seiner Korpulenz ein 
guter, flotter Tänzer auf den Kaſsinobällen. 
Des Professor Dr. Weidemann Lehrtätigkeit umfaßte von Ostern 1880 an mehrere 
Jahre am Saarbrücker Gymnaſium. Dr. Herwig war schon vor seiner endgültigen Be- 
cufung nach Saarbrücken als Probelehrer einige Zeit, ebenfalls ab 1880, am Saarbrücker 
Gymnasium tätig. Von beiden Herren wird später noch die Rede ſein. 
Eine ausgeprägte Persönlichkeit war Professor Dr. Adolf v. Velsen, Altphilologe und 
anerkannter wiſssenſschaftlicher Forscher in klaſssiſchen Handſchriften verſchiedener euro- 
päischer Bibliotheken. Leider war er, von hoher, leicht nach vorn geneigter Gestalt, mit 
dem ſtörenden Körperfehler von Klumpfüßen behaftet, weshalb er stets einen festen 
Stock als Stütze benutzen mußte und während des Unterrichts höchſt selten das Katheder 
verließ, um einige Male in der Klasse herumzuhumpeln. Dafür aber zierte die ehrwürdige 
Erscheinung ein richtiger Jupiterkopf mit leicht ergrautem, bis in den Nacken wallendem 
locsigen Haar. Er war ein ſtrenger, geſürchteter Lehrer und hatte trotzdem die Eigen- 
iümlichkeit, bei jedem Witterungswechsel seine Klaſſe darauf hinzuweiſen, daß ja die 
unterkleioung dem Wetter angemessen gewählt werde, um Erkältungen vorzubeugen; 
darauf sollten wir unſere Müiter beſtimmt aufmerkſam machen. Es war gut und fürſorg- 
lich von Herrn v. V. gemeint, aber, du lieber Gott, die größte Zahl von uns, darunter auch 
ich, kannten als „Buwe“ weder „Unnerburxre“ noch Unterjäckchen! Dabei ſpielte syſtema- 
tiſche Körperertüchtigung damals keine Rolle. Schulseitig wars in dieser Hinſicht mit 
einer wöchentlichen Turnstunde und einem jährlichen Schulspaziergang abgetan. Bezeich- 
nend iſt die Antwort, die uns einmal von anderer Seite als Sekundanern wurde, da wir 
uns beſchwerten, wir kämen vor einer Ueberlaſt von häuslichen Schularbeiten kaum 
mehr zum Spazierengehen. „Dafür sind die Ferien da,“ hieß es. Heute hält man d/olche 
Geringſchätzung körperlicher Betätigung glücklicherweile kaum noch für möglich. 
  
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