Saarkalender für das Jahr 1928
Ein Saarländer als Prophet moderner Pädagogik.
Bernhard Gottfried Hof e r, Hofbuchdruckerei in Saarbrücken. druckte 1768 ein
kleines Büchlein: „Eine vorläufige Nachricht von der g eg enwärtigen
Verfaſſung des Saarbrückiſchen Wilhelms Gymn.aſii“. Verfaſſer iſt
Johann Nikolaus K i e f e r. + Der Schrift geht eine Widmung an den Fürsten Wilhelm-
Heinrich voraus, in der in den verſchnörkelten Redensarten der damaligen Zeit auf ihren
Inhalt und Zweck hingewiesen wird und Gedanken zur „Verbesserung“ der von Kiefer
geleiteten Anstalt bringt. Diese sind zum Teil so vorzüglich, ganz neuzeitlich anmutend,
daß sie uns heute noch intereſſieren können, weshalb hier einiges notiert sein möge.
Kiefer war seiner Zeit in der Schuldoktrin um 15(0 Jahre voraus, denn noch 100 Jahre
ſpäler begannen erst langſam die Fesseln zu fallen, unter denen das höhere Schulwesen
zum Leidwesen von einsichtigen Lehrern und ſtrebſamen Schülern litt: die rein gram-
matikaliſche Ausbildung als der einzige Angelpunkt der Bildung. Es war die Zeit der
absoluten Herrſchaft der alten Philologie, Latein und Griechiſch die Hauptsache, aber es
wurde beispielsweise nicht etwa der Geiſt griechiſcher Dichtung gelehrt, sondern einzig nur
alle Fußangeln der komplizierten Grammatik. Von anderen Diſziplinen hatten noch
einigen Wert Mathematik und Geschichte, alles übrige wurde dagegen zurückgestellt oder
gänglich vernachläsſsigl. Die körperliche Ausbildung wurde nicht berücksichtigt, das seeliſche
Moment überhaupt nicht in Betracht gezogen. Es ist ein JTammer, daß ein so hervor-
ragender Schulmann wie Kiefer mit seinen weitausſchauenden Plänen ein Prediger in
der Wüſte blieb.
Die Notwendigkeit zum langsamen, logischen Aufbau faßt Kiefer in dem Sat zu-
ſammen: „Folge der Natur, die nirgends einen Sprung tut; das iſt der Grundsatz der
Erziehung.“ ~ „Körper- und Geiſteskräfte ſind gleichmäßig zu schulen.“ Der Schulmann
erinnert an die Spartaner und Perser und mahnt, den Körper der jungen Leute zur Ge-
ſundheit, Dauerhaftigkeit und Härte zu bilden. – Eine tiefe Weisheit liegt in dem Satz,
der ſich auf die Dauer der Schulzeit bezieht: „Um seinen Zweck geſchwind zu erreichen,
ſoll man sich nie übereilen.“ ~ In der Aufzählung der Dinge. die eine Schule zu lehren
hat, ncnnt Kiefer auch die mechaniſchen Künſte: Hobeln, Drechseln, Schnitzen, Modellieren,
furdert alſo damals schon den erst in den letzten Jahren verschiedentlich eingeführten
Werkunterricht. ~ Die Darlegung der methodiſchen Anweisungen drückt aus, daß es zu
verhüten sei, den Schüler mit Hausarbeiten zu überlaſten, man soll ſie ihm ,. so viel wie
tunlich iſt, abnehmen“. Ueber das Ziel der einzelnen Unterrichtsſtunden hören wir bei
der Naturgeschichte. daß durch das Studium des Buches der Natur der Aberglaube in
natürlichen Dingen verbannt werden soll. –~ Als etwas „Unerhörtes“ fordert Kiefer
die Einführung ,teutscher Sprachkla ssen“. Er schreibt: Iſt es denn nicht
vernünfliger, mit den Griechen und Römern in der Mutterſprache, und zwar mit dem
Leſen den Anfang zu machen? Unsere Schüler sollten nicht eher eine Feder zu einer
redneriſchen oder dichteriſchen Arbeit ansetzen, bis sie erſt Jahr und Tag teutſche Muſter
geleſen und erklären gehört, ihre Mutterſprache in einigem Umfange übersehen, und so-
wohl das Vernünftige einigermaßen beurtheilen, als das Witzige zu empfinden gelernt
haben. — Wie zutreffend Kiefers Forderung ist, wird jeder beſtätigen, der vor 50 Jahren
ein deutsches Gymnasium besuchte. Von 30 Primanern waren vielleicht fünf in der Lage,
einen guten deutschen Aufsatz zu liefern. Dagegen durfte es als Ausnahme gelten, wenn
einer versagte, den von öden ciceroniſchen Phraſen wimmelnden lateiniſchen Aufsatz zu
„bauen“. Dies Wort galt als der terminus technicus, denn die Hauptſache war, Satz-
ungetüme herzuſtellen, über die wir Schüler selbſt uns weidlich luſtig machten.
geichnen und Malen werden von Kiefer gepflegt, ebenſo die Vokal- und Inſtru-
mentalmuſik. Ein Tanzmeister iſt da, den Schüler in allerlei Stellungen, Bewegungen
und Evolutionen seines Leibes zu üben. Es wird gerne gesehen und öffentlich geraten,
den Tanzboden zu beſuchen. ~ Eine Schulſammlung trägt zur Belebung des Unterrichts
bei. Um Beiträge für die Bibliothek, die Sammlung der Inſtrumente, Kupferstiche,
Modelle, Naturalien und Münzen wird gebeten. – Die Mittwoch- und Samstag-Nach-
mittage sind für allerlei Gänge bestimmt, bald zur Besichtigung eines Eiſenwerkes, einer
Fabrik, bald aber das Feldmessen und andere Dinge vorzunehmen. – Das letzte Kapitel:
von der Schulzucht, stellt Achtung und Ehrfurcht vor den Lehrern und der Wissenſchaſt
als die Grundlagen hin, auf die sich die Schulerfolge aufzubauen hätten. ,Nicht auf den
Zwang, auf ein despotiſches Weſen, Schelten, Poltern. Schlagen und andere Arten der
Zucht begründet sich die Schulzucht, sondern auf die überzeugenden Proben von unserer
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