Saarkalender für das Jahr 1928
Erinnerungen aus der „Aanſtalt‘ (1868 - 70).
Von Dr. W. M.
Die Kleinkinderverwahrſchule „Marian-
nenanstalt“ befand sich in meiner erſten
Jugendzeit und noch Jahrzehnte später in
der Gerberſtraßze in St. Johann. Ein
geräumiges Grundstück mil einem großen
und einem kleinen Saal, davor ein großer
Baumvorplatz. 150 Kinder, auch mehr, im
Alter von 2!14 Jahren bis zum Beginn der
Schulpflicht beſuchten die Mariannen-
Kinderſchule, kurz „die Aanſstalt“ genannt.
Die ,„Aanſtaltstante“ hatte die größeren
Kinder im großen Saal, während die
kleinen Würmchen, nicht alle ſchon
„ſtubenrein“, im kleinen Saal, der vom
großen durch den Hausflur getrennt war,
von Gehilfinnen beschäftigt wurden. Bei
gutem Wetter in den wärmeren Jahres-
zeiten spiellen die Kinder meiſt im
Freien, bei ungünſtiger Witterung und im
Winter war es oft eine recht ſchwierige
Aufgabe, die vielen Kinder in den
geſchloſsſſenen Räumlichkeiten zu bändigen,
damit nicht gar zu viel Gebrüll und Un-
arten ſich breit machten.
Glanzpunkte des Tages waren die Ver-
teilung des zweiten Frühſtücks und des
„Vieruhressens“. Jedes Kind brachte seine
Butter-, Marmelade-, „Appelkraut“- oder
„Kumfidur“-, Schmeer“ (confiture, Johan-
nisbeergelee), das heißt mit diesen guten
Sachen ,@geschmeerte“ Brotschnitten in
einem Täſchchen oder einfach in Papier
gewickelt mit, gab sie beim Eintritt ab,
und die „Tante“ verſtaute die Freſsſalien
in einem mächtigen Wandſchrank bis zur
Abgabezeit. ,„Schmalzſstullen“ waren üsbh-
rigens damals den Einheimischen fremd
und nur in zugezogenen altpreußiſchen
Beamtenfamilien beliebte. –~ Kaum jje
irrte ſich die Tante im Eigentümer, auch
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Waren die Kinder einmal besonders un-
artig und wild, so beſtand die Taktik der
„Aanſtaltstantenr. in dem g.roßartigen
Kniff, zu sagen: „So, jetz sſperr ich de
Schrank zu un ziehe de Schlisſsel ab, da,
ſo – un jetz kriehn 'r eier Schmeere nit,
jetz is 's aus!“
Die noch naiv-Gläubigen, welche diese
Strafprozedur noch nicht öfters erlebt
hatten, erhoben dann ein Zetergeſchrei, als
ob ihnen nun nichts gewisser sei, als ein
schrecklicher Hungertod und gelobten, jetzt
ganz brav sein zu wollen, worauf der
Schrankſchlüsſ gnädigſt wieder ins
Schlüsselloch gesteckt und der Schrank
unter beruhigenden, versöhnlichen Worten
wieder aufgeſchloſſen wurde.
Die Sitze für die Kinderſchar bestanden
rez. tu.
Rückenlehne aus Holz. Darin befand ſich
an einer Stelle längere Zeit ein halb
herausgezogener, krummgebogener, langer
Nagel, welcher sich in seinem Loch wie
eine Drehorgelkurbel herumdrehen ließ.
Dieser Platz war sehr begehrt, und die
größeren Buben ſtritten sſich um ihn. Der
Nagel war bei den höchſt beſcheidenen An-
ſprüchen ein zu ſchönes Spielzeug, ein sehr
erwünſchter Zeitvertreib, und der jeweilige
glückliche Nutznießer dünkte sich in seiner
Rolle als Drehorgelmann sehr wichtig.
Neben der ,Anſstalt“ befand sich eine
Gerberei mit Garten, aus welcher nicht
nur Blumendüfte herüberwehten, sondern
manchmal, wenn die Lohgruben geöffnet
wurden, auch recht üble Gerüche friſch-
gegerbter Felle. Nach den vierwöchigen
Sommerferien ſtaunten wir Kinder einmal
mächtig, daß aus den zahlreichen breiten
„Ritzen“ des primitiven Kinder-Bretter-
kloſetts, welches zehn Plätze oder mehr zu
gleichzeitizker Benützung aufwies und
direkt an den Garten der Lohgerberei
ſtiehk, eine Menge blühende Kapuziner-
kreſsſe-Ranken zum Vorſchein kamen.
„Die Blumen hat der liewe Gott in de
Ferie for eich wachſe lasse,“ belehrte uns
die „Tante“. (Hätte sie ,hochdeutsſch“
gesprochen, würden die meiſten sie oft nicht
verſtanden haben.) Damit waren wir ehr-
furchtsvoll zufrieden, bis ein ſchon faſt
sechsjähriger Skeptiker meinte: „Och! Was
die Tante ähm for Dinges verzehlt! Die
Blume sin änfach vun driwwe ausm
Gärwergaarde eriwwergewachs, das is
doch kä Kunſchtick!“
Verteilte die „Tante“ jeweils Kürbis-
kerne, die ja doch für den Haushalt nicht
zu verwenden waren, so war um diese
Leckerei ein „Geriß“, als ob's mindestens
„Feierſtääncher“ gewesen wären.
Montags morgens brachten die Kinder
ihren ſchön in Papier gewickelten Obolus
für die Woche als „Schulgeld“ in Geſtalt
von einem Silbergroſchen pro Kopf mit,
Unbemittelte brachten noch weniger, waren
wohl auch ganz frei. Das Geld kassierte
die Vorſtandddame des Kuratoriums,
Fräulein Förtſch, die Schwester des
EER ÜR. HGEE.