Full text: 6.1928 (0006)

Saarkalender für das Jahr 1928 
Vei der Seherin. 
Von Lisbeth Dill. 
I: hatte ſoviel von ihr gehört, daß ich beſchloß, sie aufzusuchen, gerade weil man 
mir davon abriet. Aber über diesem Beſuch stand kein guter Stern. Montags 
wollte ich nicht gehen, weil ich aus meinem Horoſkop erfahren hatte, daß der Mon- 
tag ungünstig für Unternehmungen für mich sei, am Dienstag goß es, wie es nur in 
meiner Heimat gießen kann und Mittwochs erlitt das Auto meines Freundes, der mich 
zur Seherin ktringen wollte, einen Unfall auf der Metzerſtraße im Nebel, von dem es ſich 
erſt Samstags wieder erholte. Da der Chauffeur aber zu der frommen Sekte gehörte, 
die Samstags nicht arbeiten, alſo auch nicht Auto sahren, und Sonntags die Sehetrin 
keine Sprechſtunde hatte, nahte wieder der unheilvolle Montag, aber das junge Mädchen, 
das mich begleiten wollte, – unter Ausschluß der Oeffentlichkeit – es durfte nicht ein- 
mal ihre Mutter etwas davon erfahren, denn es handelte sich um einen jungen Mann, 
der in zarten Beziehungen zu der jungen Dame stand und ſehr wetterwendiſch war und 
von dem die junge Dame es satt hatte, ſich, wie ſie es nannte, noch länger ,hinziehen zu 
laſſen“ . . . . Sie wollte dem Schickſal nun mutig ins Auge sehen, die Seherin ſollte ihr 
laren Bit ſiujchenken und so beſchloſſen wir, dem Schickſal zum Trotz, doch an einem 
ontag zu fahren. ; 
Der Sicherheit halber schrieb ich der Scherin eine Karte und meldete uns an und 
Montags früh safen wir in der Straßenbahn, die knirſchend mit sehr viel Aufenthalt, 
dur:h die Bahnhofstraße aus der Stadt hinausfuhr in eine Gegend, in der es viele Wieſen, 
viele Schornſteine und viele Schulkinder gab. Dann hörten erſt die Schornsteine, dann 
auch die Kinder auf, die Straßenbahn wurde leer, nur die Wiesen blieben, verregnete 
Winterwieſen, feucht und mit Tümpeln durchsetzt. Wir fuhren durch endloſe, lange Dörfer. 
Wenn eines aushortie, fing das nächste ſchon wieder an, nach dem Baugesetz der Heimat- 
dörfer, die an den Landitraßen erbaut sind, bis sie sich die Hand reichen . . . . Allmäh- 
lich waren alice Leute ausgestiegen, nur wir beiden blieben allein. Mir iſts ganz ſchlecht, 
geſtand die junge Dame. Ich ſagte nichts, aber es war mir auch nicht besser zu Mut. Für 
das Geheimnisvolle habe ich immer viel übrig gehabt. Der Schaffner kam mehrmals 
herein und sah uns an, als ob er etwas fragen wollte, wozu er anscheinend aber zu 
dighrct war: Ter sieht uns es sicher an, wohin wir fahren, ſagte das junge Mädchen, das 
ehr unruhig war. 
Da man in der ſtets überfüllten Sprechſtunde der Seherin oft ſtundenlang warten 
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sprachen wenig, jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt und je näher wir dem un- 
heimlichen Hauſ. kamen, deſto unheimlicher wurde es uns zu Mute . . . Eine Aſtrologin 
hatte mich don Erfurt aus aufgeſucht, um mir das Horoſkop zu stellen, und mich in ihr 
Sternenzimmer eingeladen, aber ich war immer an Erfurt vorbeigefahren und hatte keine 
Zeit zu dem Sternenzimmer gehabt, meine Chiromantin hatte meine Hand in ihr Buch 
„Achthundert Hände berühmter Perſönlichkeiten“ aufgenommen, ich hätte beinahe Herrn 
Coué einen Beſuch gemacht, aber als ich ankam, hatte er gerade das Zeitliche geſegnet 
und konnte mich nicht mehr empfangen, Zigeunerinnen hatten in meiner Hand unwahr- 
ſcheinliche und ungeheure Dinge geleſen, die sich leider meiſt nicht erfüllten, ich hatte mit 
einem Inder in Paris korreſpondiert, der mir weiſe Lebensrichtlinien nach meiner Hand- 
schrift erteilt hatle, aber ich hatte noch nie eine Seherin aufgesucht, die mit Geiſtern ver- 
kehrte, diz Geiſter heraufbeschwor, die ins Zimmer traten und ſich mit einem unterhielten. 
Ich hatte ga: keine Erfahrung im Umgang mit Geistern und ich überlegte mir auf der 
Fahrt durch das letzte lange Dorf, wem von meinen verſtorbenen Bekannten ich den Vor- 
S [V; M L ute N ice rr e g se re ber 
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Jetzt ſind wir da, sagte plötzlich das junge Mädchen, als der Wagen mit einem Ruck 
hieli . . . . Der ticke Schaffner deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Gehn Se 
nur unner der Unnerfiehrung dorch, gleich rechts das viert Haus, da wohnt se“, und er 
grinſte ſehr häßlich dazu. 
Er hatt- es uns alſo doch angeſehen. Wir gingen durch die Unterführung auf einer 
sandigen, leeren Straße hinauj, in oer ein paar einfache, einſtöckige, ein wenig unheimliche 
Häuſer standen. Mir klopfte das Herz . . . es war noch zu früh, um Geiſter zu beſtellen, 
fie kamen ſicher nicht um elf Uhr mittags . . . Auf der Straße zeigte ſich kein Menſch, 
j . 
  
 
	        
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