Saarkalender für das Jahr 1927.
Kriensfahrten Baarbrücker Buben.
Erinnerungen an 1870/71.
Von Otto Peter,
langjähriger Dekonom des Zivilkasinos.
Die Augusttage des Jahres 1870 leben
noch friſch in meiner Erinnerung, obwohl
ich damals erst acht Jahre zählte. Es war
die Zeit, in der das ganze Veiertel,
V ktoriaz, Bahnhofstraße, Schiffergasse,
Saarterraſſe, der Riesendamenplatz, für
24 000 Thaler wie Sauerbier ausgeboten
wurde. Dort, wo heute ſchon die einzelnen
Geſchäftshäuſer Millionenwerte repräfen-
lieren, tobten wir uns aus, tollten und
trieben auf der weiten Fläche nach
Knabenart allerlei Unfug. Ich vergesse
nicht, wie eines Tages unser Treiben und
die Stille der Städte durch die Meldung
„Mobilmachung“ von einer gemaltigen
Auſregung, die alle erfaßte, unterbrochen
wurde. Wie eine Bombe ſchlug es ein in
das friedliche Leben der Bürgerschaft. Die
Befehle der Einberufung flogen in die
F äuſer, und noch heute sehe ich den
ernſten Vater, zum 65. Infanterieregiment
beordert, von uns Abschied nehmen. Wir
begleiteten ihn zur Bahn. Lebhaftes Ge-
dränge, Weinen und Klagen der zurück-
bleibenden Frauen und Kinder.
An die Schule dachten wir Jungens nicht
mehr, Schiefertafel und Fibel flogen mit
Vaters Weggang in die Ecke. Kindlicher
Leichtinn und dbegreifliche Neugierde
'cieben uns auf die Höhen des Kleinen
Exerzierplatzes, der Lerchesflur, und oft
genug gelangten wir, durch ſtruppige
Ginsterbüſche und Kartoffelfelder ſchlei-
chend, bis zum großen Uebungsplatze
unserer Barniſon. Das vereinzelte Knallen
der Vorpoſtenketten störte uns nicht mehr
inn geringſten. Wir waren längst daran
gewöhnt. Es waren die Soldaten, die uns
nach Hauſe jagten, meiſt auch der Hunger.
Das Standquartier für meine Kameraden
und mich während der Vorpoſtengefechie
hlieb das ,„Franze-Brünnche“. Noch er-
innere ich mich der düſteren Stimmung,
der ernsten Gesichter und des Gefühls der
Unsicherheit, als das hier garnisonierende
Bataillon 69er nach Saarlouis abberufen
wurde, aber auch noch des endloſen Jubeis,
als am 17. Juli spät abends zwei Batail-
Tone 40er einrückten. Mit einem Sprung
aus dem Bette und hinaus auf die Straße,
um unsere Retter zu begrüßen, die allen
Mut und Hoffnung einflößten. Aus
manchem sichern Verſteck wurden da dre
Wertgegenſtände wieder hervorgezogen,
das elterliche Restaurant füllte sich wieder
mit politiſierenden Bürgern. „Wir fürchten
uns nicht,“ war die Parole.
Es begann Peſstels Täuſchung des Fein-
des, seine berühmt gewordene Wacht an -
der Saar, von der noch eine Szene in
meiner Erinnerung lebt. Der Kleine Exer-
zierplaßh war, wie gewöhnlich, auch am
28. Juli, der Ort, auf dem sich die Neu-
gierde aller Klassen breitmachte. Gemüt-
lich standen auf diesem Luginsland dichte
Gruppen, deorunter viele Bergleute in
Knappenunijſorm. Wir Jungens durften
natürlich dabei nicht fehlen. Wir sahen bei
dem klaren Wetter auf dem Roten Berge
vie Bewegungen der Franzoſen und zählten
ihre Geschütze, die ſie grabend in Stellung
brachten. Die Ansammlung, beſonders wohl
tie Tracht der Bergleute, ließen die Fran-
zoſen sich gegenüber Soldaten vermuten,
venn plötzlich auf dem Reotenberge ein
weißer Qualm vor einem Geſchütz, ein
Feuerſtrahl, und ehe wir den Schall des
abgefeuerten Geschützes hörten, fuhr mit
grauenhaftem Krach eine Granate in die
„Bellevuen. Wie eine wild gewordene
Hammelherde ſtürzte, rannte, lief tn
Rieſensprüngen alles schreiend davon. Wir
Jungens vorauf. Noch einige Male sandten
die Franzoſen ihren unfreundlichen Gruß
uns nach. Das Echo des Geſchützdonners
hallle in den Waldbergen ſrchauervoll
wider. ,Jesſes! Jetzt! Sie kumme, ſie
imme. Jetzt geht's los!“ ſchrien die Flüch-
tenden, „sie fange ſchun aan se bumFe.“
Mit entsetzlen Mienen ſchloßh man auf
unser Geschrei in der Stadt die Läden und
Türen. gZurückkehrende Vorpoſten be-
ruhigten gegen Abend die Bürgerschaft.
uns kleinen Jungens aber war auf einige
Tage die Luſt zu Streifzügen vergangen.
Der Tag der Schlacht bei Spichern sah
indeſſen wieder die Kleine Schar. Wir
trafen uns bereits fünf Uhr früh an der
Lerchesflur und verfolgten den wilden
Kampf, ohne uns der Gefahr bewußt zu
sein, in der wir ſselbſt schwebten. Vorüber
an uns zogen die Bataillone, beſstaubt,
ſchweißtriefend, keuchend, kn brennenoer
Sonnenglut. Noch heute höre ich die auf-
munternden Rufe der Offiziere: ,, Vor-
wärts, vorwärts!“
Johann war nach dem Kampfe ein ein-
ziges Lazarett. Uns trieb es aber wteder
Hinaus. Wir wollten am HMontag,
8. August, die Beerdigung der Gefallenen
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Saarbrücken und Ste.