Saarkalender für das Jahr 1927.
Darauf der Wachthabende: „Geh nur in
die Stub’; eine Ordonnanz brachte was
für Dich. Es liegt auf dem Tisch!“
Isidor eilt ins Haus; kommt aber gleich
mit einem langen Gesicht wieder raus.
Kleinlaut sagte er:
„Drin liegt nix!“
Nun springen die Schläfer auf, um ihm
suchen zu helfen. Das Würstchen blieb aber
trotz der gemeinſamen Mühe spurlos ver-
ſchwunden. Endlich kam einem Wehrmann
die Erleuchtung.
„Paßt auf Ihr Männer, die Worscht hat
der dreckig Cäsar gefrezn. Er is vorhin
so im hunnertzwanziger aus der Tür mit
was weißem in der Schnüß!“ – Armer
Cäsar! Wie gut, daß du dich mit deinem
Raub in Sicherheit gebracht hattest, so
lange, bis der Zorn verrauſcht war; denn
der wachthabende Gefreite, dem die Sache
sehr unangenehm mwar, hätte dich auf alle
Fälle über den Haufen geſchoſsen.
Aber was half alles Donnern und Wettern
auf das „Lumpeſtickvieh“ das verfluchte, die
Wurscht war und blieb weg, und Isidor
Hatte das Nachsehen.
Die Sache ärgerte ihn ja sſehr. Aber er
war zu sehr Kamerad. um eines Würſtchens
wegen seinen Mitkameraden Ungelegen-
heiten zu bereiten. Der Gedanke an eine
Meldung kam ihm gar nicht in den Sinn.
Die Sache nahm aber doch eine gang un-
erwartete Wendung. Auf dem Abſchnitts-
büro Hatte da irgend eine fixe Seele her-
ausgefingert, daß bei Isidors Unterſchrift
etwas nicht stimmte. Schon wurde der
Adjutant darauf aufmerkſam gemacht.
Diesem, der die Tragweite der Meldung
reines allzu gewissenhaften Hilfsſschreibers
kannte und dieſe deshalb nicht gerne ſah,
blieb nun, nachdem ihm offizielle Meldung
gemacht worden war, nichts anderes übrig,
als der Sache nachzugehen. Eine Unter-
suchung des Falles begann, die sich sehr in
die Länge zog. Inzwischen war der wacht-
habende Gefreite, ein Bergmann aus dem
Bergbaurevier, zur Arbeitsleiſtung in der
Grube reklamiert und in seine Heimat ent-
lasen worden. Schon ging der gange
Aktenballaſt nach Bitterfeld, dem zustän-
digen Bezirkskommando,zur weiteren Ver-
folgung der Sache und zum Bericht. 'Was
dabei herausgekommen ist, iſt mir aller-
dings nicht bekannt! Viel jedenfalls nicht!
Das war die Geschichte von der koſcheren
Wurst, die manchem alten 17er auch jetzt
noch ein herzhaftes Lachen abringen wird.
Wir alle liebten Ordnung, aber diese pein-
liche Gründlichkeit um ein Stückchen Wurſt
konnten wir alle nicht begreifen.
An der Lydinin.
Von Ernſt Paul-Saarbrücken.
In Ruſssſiſchpolen war's im Vorfrühling
1915, als an einem naßkalten Märztage
in aller Herrgottsfrühe der Wehrmann
Veter M. der . . . Kompagnie des Land-
wehr-Infanterie-Regiments Nr. 17 mit noch
vier anderen Kameraden von Koſcielne,
dem Alarniſtandort des Bataillons, nac)
Gidnia zum Stabsarzt sſtampften. Peter hatte
ſich im Schneeſchhamm der Horchpoſten-
löcher vor der Lydinia (einem versſumpft.n
Flüßchen „die Pips“ geholt, huſtete stark
und nachdem der Sanitäter Serf hohe
Temperatur bei ihm festgeſtellt hatte, sollte
er auf Befehl des Assiſtenzarztes Adolphy
Peler mit noch zwei anderen Repvier-
kranken dem Stabsarzt in Gidnia durch
Serf vorgestellt werden.
Ein richtiges Hundewetter brauſte über
die öden polniſchen Gefilde. Schnee- und
Regenſchauer peitſchten den braven Vater-
landsverteidigern in die Augen und mact;-
ten den Marsch zur Qual. Stumpfsinnig
watete die kleine Schar durch den Moraſt,
tie eiswasserblanke Fläche entlang, welche
den Weg darstellen sollte. Bei der Frühe
der Stunde hatte natürlich noch keiner der
Leute einen Tropfen warmen Kaffees im
Leibe und wie bei allen sonstigen trüben
Situationen, so war auch jetzt wieder der
einzige Sorgenbrecher und Tröſter ,d i e
Pe i f“. Bald qualmten die Schlote und
mit Volldampf wurde wacker dem Ziel
entgegengeſchritten.
Gegen 8 Uhr war Gidnia erreicht und
Serf meldete mit dem Revierbuch in der
Hand dem Stabsarzt die Kolonne. Bald
ſtand Freund Peter entblößten Oberkör-
pers vor dem freundlichen alten Herrn, der
ihm die Bruſt abklopfte. Plötzlich glaubte
der Arzt jedoch aus dem undefinierbar.n
Uniformduf!l des Peter etwas heraus-
riechen zu müssen, was ihn bei einem
huftenyen Revierkranken befremdend an-
mutete.
Auf seine Frage: „Sie sind doch nicht
eiwa Raucher?“, quoll aus dem Gehege der
Zähne Peters als Antwort ihm gzunächſt
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