Saarkalender für das Jahr 1927.
Auf dem Schlachthof angekommen, wurde
das Gesicht des Vize immer länger, als
da ſso ein erſter beſter blutiger Schlächter
ihn anfauchte: „Haben Sie keinen Korb?“
Einen Korb, wozu brauch' ich denn einen
tur-
brachte der Gefragte wütend
„Ei, wo wolle Se denn de Wirſcht enin-
pony! fwrigens gewwe Se mr zgeerſcht
de Brief!“
Heiliges Linksſchwenkt! Den Brief, den
wichtigen Brief, will dieser freche Metzger
da. Es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre
der Wachtmeiſter dem Metzger an die Kehle
f 22; Geratr NU leuten Auzér.
mierter Schlachthofbeamter auf und rettete
die Situation:
„Los, Los! Halten Sie das Geſchäft nicht
auf! Geben Sie den Zettel her! Wieviel
Würsſcht bekommen Sie? Und wenn Sie
keinen Korb haben, so schicken Sie einen
Mann nach der Schlachthofkantine; viel-
leicht gibt Ihnen der Kantinenfritze einen.
In der Zwiſchenzeit lasse ich Ihr Teil zu-
rechtlegen.“
Völlig zerschmettert, gab der Vize den
rs. seta! Hic ſectcrer Mütſe
chen bereit. Apathisch unterschrieb er auch
den Empfang. Gott sei Dank, der Huſar
kam bald mit dem Korbe. Jetzt hatte er
uch schon einen Ueberblick über die ganze
Situation und, um das Geſchäft nicht auf-
zuhalten, – hinter ihm drängelten ſchon
andere Wursſstabholer – drückte er ſich
lief beschämt auf dem ſchleunigsſten Wege
aus dem Schlachthof und jagte mit seiner
kleinen Schar wütend nach Mercy. Kopf-
ſchüttelnd ſahen die Schlächter ihr nach.
Sie konnten es beim besten Willen nicht
begreifen, daß, um ein paoar Würſtchen ab-
s § fzg vier Mann hoch zu Roß und dazu
noch feldmarſchmäßig, antraben mußten.
Doch Befehl iſt Befehl!
Der Wachtmeister lieferte dern Abschnitts-
schreiber Winkemann die Würste ab und
verkroch sich in irgend eine Kantine, da,
wo es am dunkelsten war.
Nun lagen die Würstchen auf dem Ab-
sſchnittsbüro und müßten eiligſt ron den
Truppenteilen abgeholt werden. Das ver-
anlaßte ein Abſchnittsbefehl. Zu Fuß, zu
Pserde, per Rad, per Bahn kamen darauf
die Ordonnanzen aus allen Windrichtungen
des großen Abschnittes, um die für ihre
Trapyen beſtimmten Würstchen in Empfang
zu nehmen.
Auf den, Kompanie-, Batterie- und Schwa-
dronsſchreibstuben laſtete nun die Haupt-
arbeite. Nehmen wir mal an, eine Kom-
panie hat 5 Israeliten. Aber wo ſtecken
ſie?” Einer iſt abkommandiert, einer iſt
im Lazarett, einer iſt im Arrest, einer be-
urlaubt, ein anderer auf Autowache. Auf
alle Fälle waren alle fünf in alle Winde
verſtreue. dMieder sausen Ordonnanzen
zu Fuß, per Rad, per Bahn, jeder mit einem
oder zwei Würstchen bewaffnet, zu den ab-
wesenden jüdiſchen Kameraden.
II.
'Auf der Autowache in St. Agnan herrschte
komplette Mittagsruhe. Der Wachthabende
und seine drei Leute lagen im Gras unter
den Bäumen des Chauſſeegrabens und
hielten ihren Verdauungsſchlummer. Nur
Iſidor Adler ſchlief nicht; 'der marx
u?.? roiſlczjte vsyrygtn Vn sir rese
donnanz aus Belle Croix angeſtampft.
:.:: wachthabende Gefvreite: „Was is
„Wo iſt Isidor Adler ?“
„Ei, der wird nach Noisseville sein! Was
haſt denn mit dem?“
„Ei, ich soll ihm was abgeben, aber er
ſoll selbſt quittieren!“
Der Gefreite: „Ach was, ich bin der
Wachthabende, ich quittiere! Gib mal her
ds. Hing" ~ Der Wachthabende unter-
Darauf zu der Ordonnanz: „Leg das
Ding man auf den Tiſch in der Wachkſtube.
Iſidor kommt gleicht“ —~ Gesagt, getan.
Die Ordonnanz tritt den Rückmarsch an
und die braven Wehrleute, einſchließlich
Wachthabender, sägen weiter.
Nun will es aber das Unglück, daß ein
herrenloſer Hund sich vor einigen Tagen
bei der Wache eingefunden hatte und von
den Abfällen der Mahlzeiten sich nährte.
Die Türen zur Wachtſtube standen ja offen
und Cäsar war gerade auf einem Revisions-
gange begriffen, ob nicht etwas für ihn
von dem Tiſche der Leute abgefallen ſei.
Selbstverſtändlich entdeckte er sofort das
Würſtchen. Schwapp hatte er es im Maul
Ut Lure mit ihm in ein nahes
Ahnungslos kam Jsidor von Noiſseville.
Wohl wußte er, daß ein Leckerbissen seiner
harrte. Ein Kamerad und Glaubensgenoſse
aus Nowuvilly, den er in Noisseville traf,
hatte ihm das süße Geheimnis verraten.
Seine erſte Frage an die Kameraden war
ſelbstverständlich:
„Wo ist meine Wurſt?“
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