Full text: 4.1926 (0004)

Saarkalender für das Jahr 1926 
Glockenraub und „Reparation" in der 
fFfranzaſenzeit. 
Am 6. Thermidor des Jahres 9 der franzöſiſchen Republik (25. Juli 1801) richteten 
der Maire und die Adjunkten von Saarbrücken im Namen der Gemeinde Saarbrücken 
an den Bürger d' Orwechgille. Präfekten des Saardepartements, folgendes Schreiben: 
„Bürger Präfekt!“ 
„Als unsere Stadt im Jahre 1793 alle Schrecken des Krieges empfand, hat man in 
gleicher Weise alle Glocken von Saarbrücken und St. Johann, fünfzehn an Zahl, weg- 
genommen, was uns einen Schaden von ungefähr 67 666 Franken zufügte. Die 
dringendsten Bitten, welche von unsern Behörden im Verein mit einer großen Zahl von 
Beivohnern an die mit dieſem Verfahren beauftragten Kommisſsäre gerichtet wurden, 
waren nicht imſtande, uns ein einziges Stück als Schlagglocke zu erhalten.“ 
„Diese Beraubung, welche nicht nur allgemeine Unordnung in den nach einer de- 
ſtimmten Zeit geregelten Beschäftigungen zur Folge hatte, sondern auch auf die Menſchlich- 
keit einen gewissen Einfluß übte, indem sie dem armen Kranken die Erleichterung nahm, 
die er oft in der Kenntnis der Stunde findet, lehrte uns in der Einrichtung der Turm- 
uhren einen Vorteil schätzen, über den der geringste Teil unserer Einwohner bis dahin 
nachgedacht hatte. Sobald wir anfingen aufzuatmen, dachte man daran, dieſen Uedbel- 
ſtar.d zu beseitigen. Infolgedessen verschaffte sich der obere Stadtteil, der von den wohl- 
habendſten Bürgern bewohnt wird, mittelst einer Sammlung im Verhältnis zu dem Ver- 
mögen der Einzelnen, vor einem Jahr für die Kirche, die in der Nähe des ehemaligen 
Schlosies liegt, eine neue Glocke, welche 1405 Franken gekoſtet hat.“ 
„Aber ihre Kleinheit, verbunden mit der Entfernung, in der sie aufgehängt ist, ver- 
hinderte die untere Stadt, an dem Vorteil des Geläutes teilzunehmen, und da ihr un- 
ger.ügendes Vermögen ein unüberwindliches Hindernis ist, einen Teil davon für einen 
ähnlichen Zweck zu opfern, so glauben wir uns zu Gunſten unserer weniger bemittelten 
Mitbürger dieſer Angelegenheit annehmen zu miissen.“ 
„In dieser Absicht, Bürger Präfekt, wenden wir uns an Sie, um mit Ihrer Unter- 
ſtützung einen Vorteil für die Bedürftigkeit wiederzugewinnen, den das Unglück der 
Zeii It; ütrauht hat, und dessen sie ohne die Hilfe der Regierung offenbar noch lange 
beraubi sein wird.“ 
„Durch die neue Ordnung der Dinge sind, wie man uns versichert, mehrere Glocken 
in dem Saardepartement überflüſſig geworden. Da sie zur Verteilung bestimmt sino, 
ſo wolien Sie eine von geeigneter Größe unſerer Gemeinde bewilligen, welche in dem 
Glockenturm der neuen Kirche (Ludwigskirche) aufgehängt werden soll. Wenn ein solches 
Geschenk der Republik durch Ihre Vermittelung unserer Stadt gewährt wird, so soll es 
ein Denkmal des Edelmuts sein, welches zu jeder Stunde den guten und dankbaren 
Saarbrückern den achtenswerten Namen Ormechpville ins Gedächtnis zurückrufen wird.“ 
„Da die Lutheriſchen Pfarrkinder von St. Johann und die reformierten von Saar- 
brücken von der hier ausgesprochenen Bitte erfahren haben, haben sie uns gebeten, m 
gleicher Weise für sie einzutreten, um ihnen eine Glocke für ihre Kirche zu verſchaffen 
zum Ersatz für diejenigen, die ihnen weggenommen worden ſind. Sicherlich iſt diese 
Forderung Ihrer Aufmerkſamkteit nicht weniger würdig, Bürger Präfekt, in Anbetracht, 
daß dic von der Regierung beſchützte Kultur ein großes Hindernis in dem Mangel der 
Glocken. erfährt, von denen die reſsormierte Pfarrei jetzt überhaupt keine hat, und die 
lutheriſche in St. Johann nur eine ſehr kleme, ähnlich wie eine Schelle, die sie von 
drr Komturei (dem Deutſchhaus) geliehen hat. Wollen Sie also dieselbe Bitte, welche wir 
besonders für die Gemeinde Saarbrücken ausgesprochen haben, den genannten Pfarreien 
h!zyilligen, deren Eifer für die öffentliche Sache wohl diese Gunſt der Regierung ver- 
ient “ 
Diese Bittschrift hatte keinen Erfolg. Daher wandte sich die Gemeinde Saarbrücken 
im folgenden Jahre 1802 (18. Thermidor 10) an den Generalkommissar der Regierung 
in den vier neuen Departements des linken Rheinufers, Jeanbon St. André, mit einer 
neuen Bittschrift. Daraufhin erhielt die Saarbrücker Gemeinde auch wirklich eine 
Gloclie, die aus dem Karmeliterkloſter in Trier ſtammte. Sie war im Jahre 139s6 
gegoſſen und somit über 400 Jahre alt. Sie wog 768 Pfund oder 38 Myriagramm. Die 
verarmte Gemeinde mußte aber das Myriagramm (10 Kilogramm) mit 20 Franken, 
alſo 760 Franken für die alte Glocke bezahlen. Das war die „R eparation“ für 
die 15 geraubten Glock en d er Städte Saarbrücken und St. Johan a ! 
  
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