Saarkalender für das Jahr 1926
Heimatbilder aus dem Raſsſelgan.
Von H. P. Buchleitner.
Tiefes Dunkel lag noch bis vor kurzem über der Geschichte der Südwestecke unserer
Saarheimat, nämlich des Warndtgebietes, wie auch des geſamten eigentlichen Rosselgaues,
zu dem wir das Tal rechnen wollen, das sich zu beiden Seiten der Rossel, eines Neben-
fiuſſes der Saar, ausbreitet. Ueber die Vergangenheit dieses Fleckchens wertvoller
Heimaterde sollte uns nun ein im vergangenen Jahre erſchienenes Heimatbuch ,Geſchichte
des Warndts“ einigermaßen aufklären. Nicht allein der geschichtlich inhaltreiche Warndt,
ſondern auch das umfangreiche Gebiet des ehemaligen Völklinger Hofes, wozu die
heute ſo volkreichen Orte Völklingen, Wehrden, Geislautern und Fürstenhauſen gehörten,
war bislang von unseren Heimatgeſchichtsforſchern ziemlich vernachlässigt. Und doch bietet
uns dieſc Gegend eine Menge intereſſanten Materials. Wir beginnen unsere heimat-
gcschichtliche Wanderung von Fürstenhauſen aus, zweisellos eines der älteſten Dörfer
des Saargebietes.
Fürſtenh aus en hat seinen Namen vermutlich von den hier zur Saarbrücker
Grafenzeit liegenden Forſthäuſern, die von den Förſtern des Warndts und des dortigen
Schiſfsſitterswaldes bewohnt waren. In der erſten Zeit des Bestehens der Wadgassener
Abtei hüteten sie auch zugleich deren Wälder. Der Ort, der gelegentlich der Türken-
ſchatzung (1542) von nur acht Familien und fünf Geſinden bewohnt wurde, sank während
der Stürme des dreißigjährigen Krieges völlig in Trümmer. Wie Kratziſche Truppen hier
gehauſt haben, erhellt aus folgendem Berichte: „Als die zu Völklingen (Völklinger Hof-
Vereich) gelegenen vier Kompagnien abmarjſchierten, haben sie noch togs zuvor die
herrſchaftliche Heuſcheuer zu Fürsſtenhauſsen nebst fünf Häuſern zu Völklingen verbrannt.“
Welche Zuſtände hier herrſchten, erhellt am beſten aus einem Berichte des Ables von
Wadgaſsen, der 1652 schreibt: . . . ,, Ein Mann mit Namen Hans aus Werbeln, der weilen
er nit wollen in der Bedrangnik mit andern aus dem Land weichen, iſt dahin geraten,
daß er die Menſchen todtgeſschlagen und gefressen hat, tanta fames erat.“ (So groß war
drr Hunger.) –~ Ich sah mit eigenen Augen die Eingeweide und Gebeine erſchlagenec
Menſchen. Und habe eine Frau aus Fürstenhauſen beerdigen lassen, welche bei ihm
{(dem obenbesagten Menſchenfresser) zum Uebernachten (mit ihrem Manne) eingekehrt
mar, – denn sonst war aus jener Gegend außer ihm Niemand in Werbeln = die er
_ Jcodtgesſschlagen hat.“ Im ganzen Gebiete des Völklinger Hofes, dessen zugehörige Ort-
ſchaften 1628 insgesamt etwa achtzig Bewohner zählten, waren nach Ende dieſes un-
ſeligen Krieges nur noch acht o d er n eun „Un t er tan e n“ vorhanden. Den Verkehr
dieſes Ortes mit dem Orte Völklingen bewerktſtelligte bis in die jüngste Zeit eine Fähre.
Das Fürſtenh auſ ener Fähr ſch i f f zu unterhalten war Pflicht der Bewohner
vnn Fürstenhauſen. Festgelegt finden wir dieſe Verpflichtung in dem Weistum von Völk-
inigen aus dem Jahre 1422, wo es heißt: „Jtem wiset der hoff, daß die von Fürſtenhuſen
das ſchiff uff dem fare (auf der Fahrt) tuſchen Fürſtenhusſen und Folkelingen machen ſollen,
und soll yn min here der grave eynen Baum in Schiffsitters (Walddiſtrikt bei Fürſten-
hausen) darzu geben, und wurd meyn hern dem graven darumb ſin gulden von dem ſchiff.“
Der Graf gab alſo zur Herſtellung des Fährſchiffes einen Baum aus dem Schiffsitters-
wuld, wofür er die Pacht einzog. Da die Berohner der Gemeinde Fürsſtenhauſen (wozu
der Ort selbſt, Fenne, Fenner Hof und Stangenmühle gehörte) vor 1875 keinen Friedhof
hatten, wurden mittels dieser Fähre auch die Leichenzüge nach dem Zivilfriedhofe von
Volklingen übergesetzt. Dies bedeutete besonders bei Hochwasser eine große Unannehm-
lichkeit und Gefahr, wie auch allgemein eine große Hemmung und Verzögerung des
Verkehrs anläßlich sſtarken Waſsserführens der Saar eintrat. Im Jahre 1913 wurde nach.
Erbauung einer feſten Brücke zwiſchen Fürsſtenhauſen und Völklingen dieser Fähr-
elrieb eingeſtellt. '
Völklingen, vor etwa 1100 Jahren ein Königshof, beherbergte sſchon anno 822
in seinen Mauern den Kaiſer Ludwig den Frommen, der in den düſteren Gründen des
wildreichen Warndtwaldes dem edlen Weidwerk oblag. Von 999 ab war der Völklinger
Hof ein Lehen des Metzer Kirchenfürſten, der dasselbe wieder dem Grafen des unteren
Saargaues, der seinen Wohnsitz auf der Burg Saarbrücken hatte und Königlicher
Bramter war, zu Lehen gab. Aus der Ansiedlung der Grundhörigen, die für den Hof
zu arbeiten hatten, entwickelte sich allmählich das heutige Dorf Völklingen. Zu unter-
79