Saarkalender für das Jahr 1926
Dns dem Bnargebiet aufgezwungene Ffrankenelend
und die franzöſiſche Finanzpolitik.
Von Ludwig Kreuth.
; Es gab eine Zeit, da die Frage „Wie steht der Franken?“ im Saargebiet zur
üblichen Begrüßungsform geworden war, da die Veränderungen seines Kurses gegen-
iiber der Mark das gesamte Geſchäftsleben unſerer Heimat beeinflußten und das
Tenken n1veiter Volkskreiſe beherrſchten. Es gab eine Zeit, da die Beobachtung der
Frankenkursſchwankungen die Hauptbeſschäftigung mancher Hausfrauen bildete. Damals
ſtand auf der einen Seite die ihres inneren Haltes beraubte und unrettbar ins Boden-
TJoſe sinkende Mark, auf der anderen Seite der relativ feſte Franken, der, nachdem er
teilweiſe in den Zahlungsverkehr eingeführt war, die Einheitlichkeit der Lohn- und
Preisbewegung zerriß.
Die Zeiten ändern sich. – Heute iſt die Mark eine feſt auf der Goldbasis ruhende
Währung, während der ſchon längst unterhöhlte Franken zu ſchwanken beginnt und ein
neues Element der Unsicherheit und Unruhe in die Saarwirtſchaft hineinträgt. Gerade
im Saargebiet aber sind die Rückwirkungen der Frankenſchwankungen am größten, da
man hier, gewitzigt durch die Lehren der Markinflation, sich an die Goldberechnung der
Waren und Leiſtungen gewöhnt hat und ſich dem veränderten Kurssſtand daher bedeutend
schneller anpaßt, als es im Inneren Frankreichs der Fall iſt. Viel mehr als Frankreich
iſt im Saargebiet der Warenindex zum Gradmesser des inneren Wertes der Franken-
währung geworden, hier an den Berührungsflächen der Franken- und Markwährung
iſt der Ausschlag, den die Frankenschwankungen in der gesamten Preisbildung hervor-
‘rufen, am größten. Diese Tatsache aber beweiſt den maßgebenden Einfluß, den der
Frankienkurs immer noch auf die geſamte Saarwirtſchaft hat und unterstreicht die Be-
ïevtung der Frage, welchen Weg der Franken weiter gehen wird. Es fehlt nicht an
Stimmen, die ihm das Schickſal der deutſchen Mark prophezeien. Schließlich war
His große Saiſicheivequng th Frühjahr 1924 121 der fo? gots srreys Vt 11421:1:
pefſimistiſchen S tg. Welches sind nun die eigentlichen Grundlagen der Franken-
währung und die Aussichten ihrer Stabilisierung? —
Die Kriegführung erhöhte die französischen Inlandsſchuldenlaſt um 145 Milliarden
Franken und verurſachte Frankreich eine Auslandsſchuld von 36 Milliarden Gold-
franken Eine weitere Vermehrung erfuhr dieſe Schuldenlaſt durch die Ausgaben, die
in dem Siegestaumel der Nachkriegsjahre mit dem Schlagwort „Le boehe paiera tout“
Der Boche wird alles bezahlen). für den Wiederaufbau gemacht wurden, und die bis
zum Jahre 1924 bereits auf 160 Papiermilliarden gestiegen waren. Nach der Ausstellung
Clementels betrug die innere Schuld Frankreichs Ende 1924 277,9 Milliarden Papier-
franken. und zwar ſsetzte ſich dieser Betrag zuſammen aus 149,4 Milliarden langfriſtiger
Schulden, 37,2 Milliarden kurzfriſtiger Schulden, 91,3 Milliarden schwebender Schulden
(Schatzſcheine, Bons de la Défense Nationale, die Geldcharakter haben, sowie Anleihen bei
der Lanque de France). Inzwischen sind die ſchwebenden Schulden auf 120 Milliarden
Franken gestiegen, die Gesamtschuld im Innern dürfte eiwa 320 Milliarden betragen.
Schwebende Schulden ſind vorübergehende Aushilfsschulden, ihre Aufnahme iſt nur mög-
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kraft man trotz des kapitalvernichtenden Krieges ein feſtes Vertrauen setzte. Gefährlich
wurde daher die Situation, als der Dawesplan den Zeitpunkt der deutschen Zahlungs-
eingänge bis zum Jahre 1929 hinausſchob und damit die französiſche Finanzverwaltung
nor die Aufgabe gestellt wurde, die Konsolidierung dieſer Schulden mit eigenen Mitteln
herbeizuführen. Eine Beschaffung der dazu benötigten Mittel durch eine Erhöhung der
Steuern kam angesichts der ſchon bis aufs Aeußerſte gesteigerten Steuerlaſten nicht in
Frage, die von den Sozialiſten vorgeſchlagene Kapitalabgabc scheiterte an dem Wider-
ſiand der einflußreichen Finanzkreise, die ihre Kapitalflucht in das Ausland verstärkten.
Tie dritte Möglichkeit, durch Notenausgabe die schwebenden Schulden zurückzuzahlen,
scheiterten an Erwägungen, die ſich auf pſychologiſche Bedenken gegen eine weitere
Inflation stützten. Es blieb mithin nur der Ausweg einer Umwandelung dieser Schulden
in langsriſtige Anleiheſchulden. Caillaux hat sich dabei für eine Inlandsanleihe ent-
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