Saarkalender für das Jahr 1926
zwangsweise entfernen würde. Punktum! Was braucht man ſich um rechtliche und gesetz-
liche Grundlagen zu kümmern, wenn man ein neutraler Präsident iſt, wenn auch nur
vorübergehend. und nun kam auch der Feſtausſchuß an die Reihe. Sein Programm
wurde nach allen Seiten durchgeschnüffelt. Einen Fackelzug gibt es nicht aus Gründen
der öffentlichen Sicherheit. Baſta! Das Benutzen der öffentlichen Plätze durch die Ver-
anstaltungen wurde verboten. Warum auch nicht das Luftſchnappen! Die Reden müssen
zensiert werden, sonst bleiben sie ungehalten, verfügt die ungehaltene Regierung. Un d
das alles wegen der ſtrengen Neutralität! Verboten wurde auch, Grün
aus den Staatswaldungen zur Schmückung der Häuſer abzugeben uſw. Verboten! Ver-
boten! Verboten!
Jetzt wurde aber auch die Bürgerſchaft ungehalten. Gefackelt wird nun erſt recht und
geredet, auch unzensiert. Die Bedrohung der zwangsweisen Entfernung der Fahnen iſt
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tauſendfeier abhalten, es gibt Stunk in Genf, wir haben ein bildliches Dokument von der
„ſtrengen Neutralität“ des Präsidenten selbſt, das seine Teilnahme an der französischen
Nationalfeier hier in dem neutralen Saargebiet in ſchönſter Poſe zeigt. Das Bild wird in
Genf viel Aufsehen und Freude machen. Was der Präſident als Franzose hier im Saar-
gebiet ungestraft sich leiſten kann, nämlich seine Nationalität offen und frei bekunden,
können wir als Saardeutſche im deutſchen Saargebiet erſt recht. Es ſteht ja im Versailler
Vertrag, daß uns unsere deutsche Nationalität nicht angetaſtet werden soll, und ,neu-
traler“ als Herr Rault brauchen wir auch nicht zu sein. So sorgte die Regierungs-
kommission selbſt dafür, daß die Stimmung für die Jahrtauſendfeier, wenn das über-
haupt möglich war, noch geschloſſener wurde. Druck erzeugt bekanntlich Gegendruck, und
als machtlos erwiesen sich dagegen alle Dekrete und Verordnungen, die man in der Allee-
ſtraße sſelbſt preis gab, wenn auch wohl nur ſchweren Herzens. So genehmigte man den
Fackelzug zwar nicht, verbot ihn aber auch nicht, ſondern erteilte ſogar selbſt Anweisungen
für seinen Verlauf, falls er trotz Nichtgenehmigung doch stattfinden sollte. Und er fand
ſtatt, und in welch’ ungeahntem Glanze. Die köſtliche Regierungsweisheit kapitulierte auf
der ganzen Linie, indem sie sogar den Vorbeimarſch vor dem Rathauſe in Gegenwart der
deutſchen Bürgermeister konzedierte, wenn nur die Massen nicht vor dem Rathauſe „Auf-
stellung“ nähmen, was der Veranſtaltung einen offiziellen Anstrich verliehen hätte! Run
eine Liebe iſt der anderen wert, und der Festausſchuß verzichtete groß mutig auf die Auf-
stellung, um der Regierung die offiziellen Schmerzen zu ersſparen. Auch die Androhung
der zwangsweisen polizeilichen Entfernung der ſschwarz-weiß-roten Fahnen wurde ſtill-
schweigend hinter den Kulissen wieder zurückgezogen; beileibe aber nicht öffentlich, aber
jedermann wußte es! Das Prestige. dieſe französiſche Stärke, wurde gewahrt. Noch nicht
einmal die Uebeltäter, die die uns von Herrn Rault beſcherten ,echt saarländischen Landes-
farben ,„blau-weiß-schwarz“ mißachteten und ,schwarz-weiß-rot“ flaggten“, wurden proto-
kolliert. Unſere Schutzmannſchaft und unsere Landjäger gingen daran vorüber und sahen
sie nicht. Hätte auch die Regierungskommission in ihrer Sorge um die Jahrtauſendfeier
sie nicht ſchon vorher im Geiſte geſehen, es wäre wahrlich besser gewesen. Also trotz des
Zornes des Herrn Rault fand die Jahrtauſendfeier in allen ihren Hauptpunkten pro-
grammäßig statt, eine erhebende Kundgebung für Rhein und Reich, ein Glanzpunkt der
Fackelzug, wie ihn Saarbrücken noch nicht erlebt hat. Alles wickelte sich in vornehmer,
geradezu muſterhafter Ordnung ab, die Organe der öffentlichen Ordnung, die sich einer
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ängstlich an die Wand vrgen. hatte. Die Saarbevölkerung hat wieder einmal ein un-
widerlegliches Zeugnis ihres Willens zur Ruhe und Besonnenheit bewiesen, und in Genf
wird man wiſsen, daß nicht ein frgnsöſiiches Armeekorps notwendig ist, um für die Sicher-
heit der jetzt hier verſchiedenen Bevölkerungsteile zu bürgen. Der ganze Verbotssegen,
„tant de bruit pour une omelettel“ Die in die Defensive gedrängte Regierung zog sich
auf der ganzen Linie ſchmollend zurück, packte ihre Koffer und ging in Urlaub, um die
zr die Wand gemalten drohenden ,pangermaniſtiſchen Ausſchreitungen“ nicht mit anzu-
ehen.
Das ,,pazifistiſch-französiſch-annektionistiſche Regierungs-Organ“, der „Neue Saar-
Kurier“, ſchnob und tobte über die schlappe Regierung, die die sich nie wiederkehrende
Gelegenheit, auf das pangermanistiſche Gesindel der Saardeutſchen mit Maſchinen-
gewehren losgehen zu können, ungenutzt vorübergehen ließ. Die Regierungskommission
ſollte besser ihre Funktionen dem Festausſchuß der Jahrtauſendfeier abtreten, riet dieſes
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