Saarkalender für das Jahr 1926
Die Baarländiſche Fahrtauſendfeier und die
Regierungskommiſſion.
Die Jahrtauſendfeier im Saargebiet, ausgehend von einem hiſtoriſchen Ereignis, iſt
ſelbſt zu einem hiſtoriſchen Ereignis geworden in ihrem erhebenden und glanzvollen Ver-
lauf. Eine nicht wieder auszulöſchende Bekundung der Verbundenheit der Bevölkerung
mit Rhein und Reich, die richtunggebend ist für die Entscheidung, die im Jahre 1935 die
Bevölkerung auf Grund des Selbſtbeſtimmungsrechtes treffen wird. Hiſtoriſch wird aber
auch bleiben die Stellungnahme unserer Regierungskommission in gänzlicher Verkennung
der Seele der Bevölkerung zu dieser deutschen Feier, die ein Appell an die Welt war,
ein Proteſt gegen die Geſchichtsfälſchung, daß im Saargebiet französiſche Sympathien den
Anſchluß an Frankreich erheiſchen. Wir wollen an dieser Stelle den vergeblichen Kampf,
den eine mißverſtandene Regierungskunſt wirkungslos gegen die innere Ueberzeugung
der Saarbevölkerung führte, in seiner Unvernunft und seinem Umfange festhalten, da er
der ſzerländifeen ÿghrtanſeudfrier noch ein beſonderes Relief verliehen hat und nicht
vergeſſen werden darf.
Der alte selige Oxenstierna hat noch immer recht, und nicht nur sein Sohn hat es in-
zwischen als Wahrheit bestätigt gefunden, daß zum Regieren viel weniger Verstand gehört,
als der gewöhnliche europäische „Staatsuntertan“ gemeiniglich annimmt. Die Staats-
umwälzung ſcheint darin auch keine Aenderung gebracht zu haben. Hier aber bei uns
im Saargebiet iſt sicher eine noch ſchwächere Dosis Verſtand zum Regieren erforderlich, als
der philosophisch angehauchte Schwede seinen an der Regierungsspitze ſtehenden Zeitgenossen
eingeräumt hat, wenigstens den Taten nach zu urteilen, die hier im Saargebiet die Kunſt
des Regierens nach außen hin sinnfällig demonſtrieren. Dafür hocken aber in dem nur
wenige Quadratkilometer umfassenden Gebiete, das französiſche Ländergier auf 15 Jahre
vom Reiche losgeriſſen und das die Unvernunft des Völkerbundes einer zumeiſt franzö-
siſch eingestellten Regierungskommission vertrauensselig zu „treuen Händen“ anvertraut
hat, neben dem Präsidenten die Minister, Miniſterialräte, Ober-Regierungsräte uſw. dicht
beieinander. Man denke, kaum ein halber preußiſcher Regierungsbezirk leiſtet sich fünf
„M iin iſter“ und den dazu nötigen wasserkopfartig angeſchwollenen Instanzen-Apparat!
Um auf den weisen Orxenſtierna zurückzukommen; er könnte hier bei uns an der Saar
Studien machen, wohin eine zu beschränkte Dosis Kenntnis der Volksseele in der Regiererei
ſchließlich doch führt. Die Spatzen pfeifen es ja ſchon längſt von den Dächern, daß unser
Präsident, Monsieur Rault, ein waſchechter Franzoſe, hier seine treuhänderiſche Regie-
rung nur nach den französischen Interessen orientiert und sich dem Traume hingegeben
hat, auch die Bevölkerung in dieser Richtung orientieren zu können. Der Traum iſt schon
längst vorbei, aber die Richtung iſt noch immer die alte geblieben. Das ist bei einem so
treuen Sohne einer Nation, die noch dazu die „Grande Nation“ ist, schließlich nicht weiter
verwunderlich. Daß aber ausgerechnet der Präsident Rault, der in seiner nunmehr fünf-
jährigen glorreichen Amtstätigkeit nicht einmal aus seiner französiſchen Haut heraus-
gekommen ist, auf den herzlich einfältigen Einfall kommen konnte, sich juſt auf die
„ſtr en g ſte Ne utr ali t ä t“ zu berufen, die gerade ihm hier an der Spitze im Saar-
gebiet der Völkerbund als eine heilige Pflicht auferlegt habe, das hat wohl niemand für
möglich gehalten. Und doch ist es so; wir müssen uns alſo die Erfahrung Orenſtierna's
noch mehr zu eigen machen.
Man war im ganzen Saargebiet sehr erſtaunt, überhaupt das Wort ,Neutralität“ aus
dem Munde des Präsidenten Rault zu hören. Aber in seiner Auslegung iſt es auch für
den weitgehendsſsten französiſchen Annektktionisten ungefährlich . .. Wie nämlich die bis-
herige einseitige Orientierung des Präsidenten nur dahin gerichtet war, das Deutschtum
hier zu unterdrücken und die deutschen Rechte, die der Versailler Vertrag immerhin,
wenn auch nur kümmerlich, uns belasſſen hat, im Sinne Frankreichs zu umſchiffen, so iſt
die nunmehr aufgestellte ,ſtrengſte Neutralität“ auf ganz dasselbe Ziel eingestellt. . Ja,
er iſt faſt ein Zauberkünſtler, unſer Papa Rault, wie er hier manchmal seiner biederen
Außenſtruktur nach genannt wird. Sein Trick — bei jedem Zauber iſt natürlich ein
Trick + gelang nicht, denn. er wurde erkannt. Das kann jedem anständigen Zauberer
auf seinem Schaupodium passieren. Nur guckt man ihm hinterher dann noch ſchärfer auf
die Finger, und wenn er ſich ſchließlich nicht noch mehr verheddert, dann hat er Glück.
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