Full text: 1925 (0003)

  
Saarkalender für das Jahr 1925 
Die erſte Genfer Delegation aus dem Baanrrevier. 
Von Adolf Franke. 
Wer wollte einem Volke das Recht verwehren, sich ſelbſt zu bekennen? Wer möchte 
es nicht verſtehen können, daß das Saarvolk, den erſten freien Atemzug nach beendeter 
Militärdiktatur benutzend, in den Märztagen 1920 zu gewaltigen Kundgebungen aufstand, 
au künden und zu zeugen, daß es deutſch sei und deutſch bleiben wolle. : 
Wer wollte einem Volke diesſes R echt und dieſe Pflicht verwehren? –} – Es 
empfiehlt sich nicht, sſich zu irren! . 
Bei der erſten Gelegenheit gab die im Namen und Auftrage des Völkerbundes 
amtierende Saarregierung die Quittung. Der Beamtenſtreik im Saargebiet im 
Auguſt 1920 bot dieſe Gelegenhei. Den Beamten ſollte ein Statut aufgezwungen 
werden, das ein Hohn war auf ihre berechtigten Forderungen und gegebene. Ver- 
ſprechungen brach –~ und trotzdem haben sie es nach dem Zuſammenbruch des Streiks 
annehmen müsſſen. Zu spät iſt erkannt worden, daß dieſer Streik von der Saarregierung 
oder wenigstens denjenigen, die s i e regierten, nicht nur erwartet, ſondern ge wü n ſcht 
worden war. Sogleich nach Streikausbruch wurde der Belagerungszustand erklärt, und 
die französische Truppenmacht, der die Gewalt übertragen worden war, räumte mächtig 
unter der „renitenten“ Saarbevölkerung auf. Wer irgend in der vergangenen Zeit im 
Bekenntnis seines Deutſchtums hervorgetreten war, wurde aufs Laſtauto geladen und 
uater Ausweiſung aus dem Saargebiet hinausbefördert oder aber auch zur kriegs - 
g er icht li che n Aburteilung ins Gefängnis geworfen. Die ſschwarzen Liſten waren 
gut geführt worden. Mehrere hundert Persſonen wurden von dem Geſchick der Aus- 
weiſung oder der Gefängnishaft unter marokkaniſcher Bewachung betroffen. Nur für 
eins arbeiteten die französischen Kriegsgerichte nicht: für die Sühne der Greueltaten von 
Marokkanern an saarländischen Mädchen und Frauen in jenen Tagen! 
j Anfang Oktober 1921 reiſte zum erſten Male eine ſlaarl än diſ che Delega- 
ti o n nach Genf. Der Völkerbund hatte seine Jahresverſammlung. Es iſt wahr und 
richtig, daß sie sich nicht beflissen fühlte, gerade der Saarregieruna vorher Mitteilung von 
ihrer Abreiſe zu machen. Ein Wagnis, ein großes, war dieſe Reiſe. Die führenden 
Persönlichkeiten machten sich kein Hehl aus der Lage. 
. Ich will nicht auf die Frage eingehen, was man vom Völkerbund ſelber, d. i. der 
Völkerbundsversammlung, zu erwarten hatte, sondern nur auf die über die vermuttliche 
Auffassung im Völk er bun dsr at, seinem ausführenden Organ und der Behörde, 
welche die oberſte Aufsicht zu führen und die letzte Verantwortung zu tragen hatte für 
eine wirklich treuhändleriſsche Regierung des Saargebiets. 
Es lagen einige Präzedenzfälle vor. Der Völkerbundsrat hatte gefunden, daß das 
Beamtenſtatut (zu deſſen Abwehr die Beamten in den Streik getreten waren) von 
demokratischen Gedanken eingegeben und im Geiste der Unparteilichkeit abgefaßt zu sein 
| ſchiene und daß es den Beamten vollwertige Garantien gegen jeden Mißbrauch der Regie- 
rungsgewalt gewähre. Eine Ein g abe der politiſchen Parteien des Saar- 
g e bi e ts in der Beamtenfrage von Anfang Juli 1920 an den Völk er bu n d war ohne 
Antwort geblieben, ebenſo eine Eingabe der Beamtenſchaft des Saargebiets an den 
Völkerbundsrat vom 3. September 1920 (also nach dem Streik und nachdem alle Rädels- 
führer“ doch hinausgeworfen waren). Und was war auf ein Schreiben des ruhigen 
und vornehmen Herrn v. Boch, des vom Völkerbundsrat ausgewählten ſsaarländiſchen 
Mitglieds der Regierungskommission, an den Generalsekretär des Völkerbundes ge- 
ſchehen ? Herr v. Boch hatte wegen der Vergewaltigung der Beamtenſchaft um Enthebung 
tiber lss; ter rte : ers s; z! et qs: Lorrzeyde Füisce ich aut der ts 
ang en o mm en en Bericht des Vertreters Griechenlands im Rat, Caclamanos: „Herr 
v. Boch hat in einem an den Generalsekretär gerichteten Schreiben vom 18. August 1990 
erklärt, er habe den Eindruck, daß man sich im Ausland keine richtige Vor- 
ſte llung über die Lage im Saargebiet und über die Stimmung der 
e v ölk e run g mache, und wenn es ihm erlaubt ſei, einen Wunſch zu äußern, ſo 
möchte er den Völkerbund bitten, sobald als möglich einen u 1 part e ii ſchen Dele- 
q ierten oder eine Kom miss ion zu enlsſenden, um die nötigen Informationen an 
Ort und Stelle einzuziehen. Dieser Delegierte oder diese Kommission müßte sich, wie 
Herr v. Boch sagt, unbedingt in unmittelbar e Beziehung mit der Bevölke- 
hug teten, hy t!!! der hslitticher Parteien uud den zrveiterorggniſationen. mit zt: 
der Geittlichkeit ber Lehrerſchaft uſw. Here v. Boch bittet ven Völkerbund 'einbringüth: : 
  
  
  
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