Saarkalender für das Jahr '0129. "
Zulſatzſteuer bis zu 33 Progent, Kriegs-, Mobiliar-, Perſonalſteuer (Wert von drei Ardveits-
tagen), Tür-, Fenster-, Patentſteuer, Abgaben von Wein, Bier. Branntwein, Gold- und
Silberwerk, Frachtfuhrea, Schiffen, Fähren, Brüſken, Oktroi, Enregiſtrement, Stempel-
ſteuer uſw. uſw. Dazu kam eine fortwährend nach Verrätern und Verſchwörern
schnüffelnde Polizeiverwaltung mit ihrem Spitzel- und Spionenwesen. Arretiert wurde
ohn’ Unterlaß, auch auf völlig haltloſe Verdächtigungen hin. Die Arresthäuſer waren
stets voll von Unglücklichen, denen man für ihre Freilaſſung das lekte an Hab und Gut
nahm. Fortwährend behelligten noch zu diesem Elend Einquartierungslaſten und Truppen-
durchzüge die Bewohner; sie wußten kaum noch, wovon sie selbſt leben sollten und
hatten ihre Häuſer faſt ohne Unterbrechung voll von einer rohen, zu jeder Uebeltat
bereiten Soldateska, die in ihren Forderungen nicht gerade beſcheiden war. Trotzdem
verſuchte es Frankreich, sich einen Schein des Rechtes für eine Annexion der Grafschaft |
gu ſichern und erließ einen Aufruf, dem zufolge die Einwohner durch Unterschrift die
Aufnahme in die fränkiſche Republik. nachſuchten. Die revolutionäre Verwaltung und
ihre Spießgesellen arbeiteten für diesen Plan mit gewohnter Rücksichtslosigkeit, aber das |
Resultat war trotz aller Daumenschrauben gleich Null. Man wies das Ansinnen in den
Städten ruhig, aber entſchieden, in den Dörfern mit Hohn zurück. Die Folge war eine
noch härtere Behandlung und volle Rechtloſigkeit der Bewohner. In verhaltener Wut
Ilebte man dahin, verarmt, gequält, in ſteter Sorge um den nächſten Tag. Wurde das
Land aber aufgefordert, zu irgend einer Feier zu erſcheinen, ſo wagte es niemand, fern-
zubleiben, er hätte seine Kühnheit mit einer unfreiwilligen Reiſe zum Krieagsgericht nach
Metz bezahlen müssen, und jeder wußte, daß er dort nicht leichten Kaufes davonkam.
So sammelte man ſich mit dem Anſsſchein freiwilliger Begeiſterung an festlichen Tagen
um die Freiheitsbäume, die von den Franzoſen in jeder Gemeinde errichtet wurden,
ſteckte eine Kokarde in blau-weiß-roter Farbe an die Kappe und redete einander nur
mit dem Titel „Bürger“ an. Man muß an dieſe trübe Lage und geradezu entſetzlichen
Verhältnissſe des Saargebiets erinnern, um die gange Verlogenheit des „Bürgers“
Bernard, eines Franzoſen, zu erfaſſen, der am 30. Juni, dem Tage der Schutzgöttin des
Ackerbaues, im Jahre 1797 die Bewohner des Kantons Saarbrücken vor ſich erſcheinen |
ließ, denen er als commissaire du Directoire exécutif (Kommissar des vollziehenden |
Direktoriums) eine Rede hielt. Sie war ein Hohn auf die wirklichen Verhältnisse, und
doch mußten die Versſammelten sie ohne Widerſpruch hinnehmen. Bernard konnte daun
wohl nach Paris melden, daß sich alle Bewohner unter der französischen Herrſchaft
glücklich fühlten, der Freiheit und der fränkischen Republik gehuldigt hätten. Das geschah,
wie etwa heute Briand behauptet: Die Bewohner des Saarbeckens sind sehr zufrieden
mit unſerer freiheitlichen Regierungl Der Komtrmiſſar verdeckte mit seinem üblen
Scherz die Niederlage in der „Willenserklärung des Volkes für Frankreich“, er über- |
malte sie, und die Pariſer Machthaber ließen ſich über die Stimmung des Landes gerne
. täuſchen. Der Zufall hat es gewollt, daß uns das phrasenreiche Gepolter franzöfiſcher
Redekunſt in der viel korrigierten Urſchrift erhalten blieb. Sie befindet sich in dem
Besitze einer hieſigen Familie und hat folgenden Wortlaut :
Rede : :
gehalten |
durch den Bürger B ern ard
Commiſssaire des vollziehenden Direktoriums
ben der Munizipalverwaltung zu Saarbrücken
10ten Meſſidct im 6ten Jahr
Tage des Ackerbaufeſtes.
Bürger!
An diesem Tage der Freude und der Erkenntlichkeit, vor dem Angesicht dessen, der
unſere Arbeiten beſchützt, der uns unsere Güter ſchenkt, in Deiner Gegenwart all m äch- |
tiger gerechter Hervſcher des Weltalls iſt es, wo die Fränkiſche Republik, aus-
gezeichnet durch deine Gnade, beſchützt durch deine Gerechtigkeit, das ſchönſte, das wich] |
tigste und das würdigſte aller Feſte feyern läßt. Empfange unsere Gelübde und
unſern Weihrauch fruchtbarer vortrefflicher Ackerbau! Für euch tugendhafte Bewohner
dieſer lachenden und fruchtbaren Fluren, für euch, eure Tugenden und eure ungzersſtörbare
Güte feyern wir dieſen hehren Tag! Empfangt unsere Verehrung, sie iſt aufrichtig und |
brüderlich. Wie viele Rechte habt ihr edelmüthige Landleute auch auf die Ehrerbietung |
und die Achtung des weiſen und ſittlichen Menſchen erworben!
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