Saarkalender für das Jahr 1925
Daß die politiſche Tendenz in Frankreich auf die Landbereicherung durch die
zwangsweise Eingliederung des Saargebiets in den franzöſiſchen Staatsbeſitz ausgeht,
dafür liegen zu viele Beweiſe vor, daß man daran etwa zweifeln könnte. Zwar
haben ſich die offiziellen Staatsmänner geflissentlich davor gehütet, gewissermaßen
anntlich über dieſe Ziele etwas verlauten zu laſsſen; sie erwarten dieſe Bereicherung
wohl auch heute noch mehr von den zwangsmäßigen Wirkungen des Versailler Ver-
trages und helfen eifrig hinter den Kulissen, diesen Druck noch zu verſchärfen. Dazu
bietet ihnen die zwangsweise Auslieferung der ſaarländiſchen Wirtschaft eine leider
zu bequeme Handhabe. Das Mitglied der engliſchen Völkerbundsliga Horace G. |
Alexander hat erſt jüngſt das Kapitel des Versailler Vertrages über das Saargebiet
als auf Falſchheit beruhend bezeichnet, und in der Wiederherſtellung der deutſchen
Souveränität über das Saargebiet erblickt er den einzigen Weg. zu Gerechtigkeit und
Frieden. Die ganze Falschheit des Saar-Statuts enthüllt sich aber“ in den ' Be-
stimmungen über die franzöſiſche Zollherrſchaft, die man jetzt in einem mit der |
deutschen Wirtſchaft ſo unlöslich verbundenen Teil des Deutschen Reiches zu errichten
ſich anſchickt, in einem Teil des Deutſchen Reiches, der aus freiem Willen ſich politiſch
nie und. nimmermehr dieſer Herrſchaft unterwerfen wird. Ist es nicht ein barer
Unsinn, eine blühende und durch deutſchen Fleiß aufgebaute Wirtschaft durch die
gewaltſame Unterſtellung unter ein fremdländiſches Wirtſchaftsſyſtem, das ihr in
seiner ganzen Tendeng nur hemmende Feſsſeln aufzuerlegen ſucht, der Gefahr der Er-
droſſelung auszusetzen, bevor über die endgültige Zukunftsbeſtimmung dieſes Gebietes
die unbedingte Entſcheidung getroffen worden iſt.
In der Anlage zu Abſchnitt IV des Versailler Vertrages wird im gs 31 diese wirt-
schaftliche Umſtellung des Saargebiets nach Frankreich wie folgt festgelegt:
„Das Saarbeckengebiet, wie es durch Artikel 48 des gegenwärtigen Vertrages
abgegrenzt iſt, wird dem französſiſchen Zollſyſtem eingeordnet. Der Ertrag aus
den Zöllen auf die für den örtlichen Verbrauch beſtimmten Güter wird nach Abzug
aller Erhebungsunkoſten in den Haushalt dieſes Gebietes eingeſtellt.
Von Erzeugnissen der Hütteninduſtrie und von Kohlen, die aus dem Saargebiet
nach Deutschland ausgeführt werden, wird keine Ausfuhrabgabe erhoben, ebenſo-
wenig von der deutſchen Ausfuhr für die Induſtrien des Saarbeckengebietes.“
Ob mit dieſer Beſtimmung die Wohlfahrt des Saargebiets, die man in Versailles
so ostentativ zur Beruhigung der Saarbevölkerung im Munde führte, wirklich in
Uebereinſtimmung gebracht werden kann, darüber haben ſich die Macher des
Versailler Vertrages auch nicht den geringſten Gedanken gemacht.
In den Veröffentlichungen über die Verhandlungen in Versailles, die so manches
Licht auf die Vorgänge hinter den Kulissen. geworfen haben, ist über diese wirtschaft-
liche Frage so gut wie nichts zu finden. Man weiß zwar, daß das Saarkapitel einen
scharfen Meinungsstreit unter den Alliierten hervorgerufen hat. Frankreich ver-
langte die Grenze von 1815 erweitert zurück und begründete dieſen Anspruch mit
„hiſtoriſchen Gründen“ und der handgreiflichen – Unmwahrheit von den „Sympathien
der Bevölkerung des Gebiets für Frankreich!“ Auf diesem Grunde ist ja auch das
rührende Märchen von Clemenceau entstanden, daß sich 150 000 Saarländer nach einer
Wiedervereinigung mit dem französſiſchen Staate sehnen; eine offenbare Erfindung, die
heute als eine ,historiſche Unwahrheit“ vor der ganzen Welt enthüllt iſt. Die politiſcheF
Intrige zerſchellte an dem Widerſtande Wilſons und Lloyd Georges, die dieſen Gebiets-
zuwachs als eine reine Eroberung dem französiſchen Bundesgenossen nicht zugestehen
konnten, wollten sie nicht ihre eigenen Zuſicherungen von dem Kampfe für die „Freiheit
der Völker“ ohne Eroberungsziele Hohn sprechen. Aber anscheinend müde des Kampfes
hinter den Kulissen über dieſe Streitfrage, die sogar die Einigkeit der Alliierten in
ſchwere Gefahr gebracht hatte, hat man dann wohl der wirtſchaftlichen Gestaltung des
Saar-Statuts keine allzugroße Aufmerksamkeit mehr geschenkt, da ja der Bevölkerung
das Recht zugeſichert war, durch eine Abstimmung über die Zukunft des Gebietes ſelbſt
zu entscheiden. Und Frankreich nutzte dieſe Gelegenheit, die ihm mit der andern Hand
das Mittel gab, zu erlangen, was die eine Hand zu verweigern trachtete, dazu aus,
die wirtschaftliche Kette um das Saargebiet zu legen.
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