Full text: 1924 (0002)

Saarkalender für das Jahr 1924. 
Die Heldin des ganzen Buches ist natürlich in den lichteſten Farben gezeichnet. –~ „Sie hatte 
von ihren franzöſiſchen Vorfahren den Gefallen an der Einfachheit (le goût de la simplicité), 
den Abſcheu vor Uebertreibungen und der Emphase (l’horreur des exagérations et de l'emphase) 
geerbt (S. 86)“ und sie liebt Frankreich (,„j'aime la France“). Als sie auf dem Winterbergdenkmal 
ſteht, „betrachtete Johanna jene Täler, jene Hügel und jene Ebenen, von denen her, vor mehr 
als fünfzig Jahren, unsere unerſchrockene, aber unbesonnene Tapferkeit gekommen iſt, um auf 
eine ungekannte Kraft zu stoßen. Und das junge Mädchen hätte vielleicht darüber geweint, wenn 
es nicht daran gedacht hätte, daß wir ein halbes Jahrhundert später auf dem gleichen Wege zurück- 
gekommen waren, wenn ſie nicht durch die große Stille dieser friedlichen Höhen plötzlich gehört 
hätte, wie aus einer der Kaſernen in der Stadt der freudige und klare Ruf der französischen 
Trompeten heraufklang“. (S. 96.) Wenn jemand derartige Betrachtungen anstellt, sind wir auch 
nicht sonderlich erstaunt, wenn wir aus feinem Munde vernehmen: „Aber ich hoffe, daß das Saar- 
gebiet nicht deutsch werden wird“ (bei der Abstimmung). (S. 62.) 
Zum Schluß dieser Auswahl, die sich natürlich noch über viele Seiten fortſetzen ließe, seien in 
buntem Wechsel noch einige weitere Bemerkungen zu allerlei verſchiedenen Fragen gegeben. 
„c.. Einige Franzosen vergesſſen es, aber alle Saarländer erinnern sich, daß ihr kleines Vaterland, 
gleich zu Beginn des Krieges von 1870 der Schauplatz der erſten Schlacht war (91)“. Wir haben ja 
auch schließlich gar keinen Grund, uns nicht dessen ſtets zu erinnern und werden es auch wohl nie 
tun. Nachdem dann der berühmte Schuß Lulus auf die Stadt gebührend erwähnt iſt, und Froſſsard's 
Einzug in Saarbrücken als Sieger gedacht iſt, heißt es (S. 92) „. .. und auf den Hängen ds 
Winterberges begann die Reihe von erbitterten Kämpfen, die uns bis nach Forbach zurückwerfen 
sollten“. Viele werden allerdings auf dem Standpunkt ſtehen, daß Paris doch von uns aus ge- 
sehen, jenseits von Forbach gelegen iſt. – „In Saarbrücken, der großen, etwas kosmopolitischen 
Stadt, wo sich die preußiſche Propaganda leichter auswirken kann“ (98). Ohne diese Propaganda 
geht es nun einmal nicht! – An einer anderen Stelle iſt einmal die Rede vom „Geiſtlichen der Be- 
satzungstruppen“ (97), wobei der Verfasser sicher übersehen hat, daß das Militär im Saargebiet 
doch nur eine „Garnisonstruppe“ iſt! Daß alles, was mit deutscher Kultur zuſammenhängt, einer 
herben Kritik unterzogen wird, ist eigentlich auch ganz ſelbſtverſtändlich. Die deutsche Architektur 
kennt nur ein „Gemengsel von verschiedenen Stilen“ (un étonnant mélange de styles différents) 
(85), es herrscht darin eben der „goût boche“ (188). ~ An der Einrichtung der Schwarzſschen Villa 
wird. mit Nachdruck gerühmt (139), daß sich dort nicht einmal jene künſtlichen Blumen fanden, 
„eines der zweifellos harmloſeſten, aber widerlichſten Zeichen des Einfluſſes von jenseits des Rheins 
auf die ſaarländiſchen Sitten (une des marques les plus inofkensives, sans doute, mais les plus 
déplaisantes, de l’influence d’Outre-Rhin). Wo hat man wohl auf den Friedhöfen, vor allem auf 
Kriegergräbern, mehr künſtliche Blumen und Kränze gefunden, als in Frankreich? – Noch zwei 
Stückchen Kulturgeschichte. „Sie (Frau Beaumont jr.) kaufte, Spitzen bei einem Kaufmann in der 
Französischen Straße (in Saarlouis), Kuchen bei einem Kontditor in der Deutſchen Straße, einen 
Stickereikragen in einem Geschäft am großen Markt und einige „Delikatessen“ ~ Schinken und 
Wurst J bei einem in der Nähe wohnenden Metzger. Ein solcher Einkauf ist für jede von deutscher 
Rasse stammende Frau eine Art ihre Freude zu bekunden“ (58). — „Aber die junge Saarlouiſerin 
war von ihren Eltern und ihrer Großmutter dazu erzogen worden, auf franzöſiſche Art zu eſſen, 
und sie bemerkte, daß bei den Wollheims fast alle auf deutſche Art aßen. Die Gabel wird immer 
in der linken Hand gehalten, das Messer, das in einer Art abgerundeter Palette endet (auch ſicher 
eine ' Sonderensdeckung des Schreibers, daß es auch bei den Messern verſchiedene Nationalitäten 
gibt!), dient dabei nicht nur zum Schneiden des Fleiſches, ſondern auch dazu, das abgeſchnittene 
Stück auf die Gabel zu legen, die so gehalten wird wie wir den Löffel halten; schließlich werden 
beide Gegenstände zuſammen fast bis zum Munde geführt, was uns den Eindruck gibt, einer etwas 
gefräßig gegessſenen Mahlzeit beizuwohnen“ (ce qui nous donne l'impression d’assister à un repas 
mangé quelque peu gloutonnement) (87). Da werden wir unkultivierten Deutschen einmal gezeigt, wie 
_ wir ſind. Wir fragen uns nur, wo der Verbreiter solcher Weisheiten seine Studien zu derartigen 
Ausführungen gemacht hat! Vielleicht in irgend einer düſteren Hafenſchenke! : 
Und nun noch zwei weitere Stellen, die man als die dickſten Roſinen im Kuchen begeichnen 
könnte. Anläßlich des Beſuches der alien Madame Beaumont in Saarbrücken entspinnt sich 
folgendes inhaltsreiche Gespräch (199 f.): „Lassen Sie mich zu dieſem Zwecke Ihnen nur anführen, 
was mir eines Tages eine Frau aus dem Volke sagte, als wir vom letzten Kriege sprachen: Ich, 
gnädige Frau, bin zufrieden, daß die Franzoſen gewonnen haben; weil, ohne dies, die Preußen das 
Land prgteſstantiſch gemacht hätten.“ ~ Dieses Zitat, womit die alte Dame ihren kleinen Vortraen. 
schloß, hatte das Gute, die junge Frau Friedrich, geb. Hilda Pistorius, aus ihrem bisherigen 
Schweigen heraustreten zu laſſen. „Jch bitte Sie um Verzeihung, gnädige Frau,“ sagte sie in höf- 
lichem, aber kaltem Ton, ,ſselbſt vor 1870 gehörten viele Bewohner Saarbrückens der reformierten 
Kirche. an.“ ~ „Was nicht hindert“, erwiderte Frau Guſtav Beaumont, „daß man ſeit 1871, infolge 
der ungeheuren preußiſchen Zuwanderung, sehen konnte, wie sich in Saarbrücken und selbst auf 
dem Lande, eine Menge von proteſtantiſchen Kirchen erhoben hat, die vor dem nicht exiſtierten. 
 — „Jch kann es nicht bedauern,“ entgegnete nicht ohne Bitterkeit die junge Frau. ~ „Das ist 
möglich. Aber die Saarländer, die in ungeheurer Mehrheit franzöſiſcher und katholischer Rasse ſind, 
bedauern es" (mais les sarrois, en immense majorité de race krangaise et catholique, le 
regrettent). Dazu ist sicher jeder Kommentar überflüssig; wenn die Nationalität es nicht mehr allein 
schafft, dann muß eben die Religion mit herhalten. ] ] 
Als hehren Ausklang dieſer für jeden „sarrois“ ſehr lehrreichen Sammlung gebe ich nun noch 
. 3 folgendes wieder (S. 134): ,... was nicht hindert“, bemerkte Herr Beaumont, „daß wir 
  
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