Saarkalender für das Jahr 1924
Bereits am 2. Juni 1662 wurden die Grafen
von Saarbrücken aufgefordert, vor dem Kön:.g-
lichen Gerichtshof in Metz zu erſcheinen und
zu erklären, daß ſie keinen anderen Souverän
als den König von Frankreich anerkennen wür-
den, widrigenfalls sie des Verbrechens der be-
leidigten Majestät schuldig erklärt und ihre
Lehen eingezogen werden sollten. Dies Edikt
wurde zwar zunächſt nicht mit Gewalt voll-
zogen, doch wandten ſich die bedrohten Grafen
an den Retichstag, der ſchließlich die Berafung
eines Schiedsgerichtes anordnete, das aus Kur-
mainz und Schweden beſtehen . sollte, aber es
kam zu keiner friedlichen Entſcheidung. Doch
das kriegeriſche Vorgehen des Königs ſaollte
nicht lange auf sich warten lassen.
Durch die Besetzung Lothringens im Jahre
1670 rückte die franzöſiſche Machtsphäre bis an
die Grenzen des Saargebietes vor, und dar:n
lag eine große Gefahr. Das Vorgehen Lud-
wigs XW. gegen den Herzog von Lothringen
war das Vorſpiel des räuberiſchen Ueberfalls
gegen die freien Niederlande, der schließlich den
Reichskrieg gegen den französischen Despoten
herbeiführte.
Im Jahre 1673 rückten französiſche Truppen
in Saarbrücken ein, ihr Führer ſuchte den
Grafen Guſtav Adolf von Nasſau-Saarbrücken
zum Abfall vom Kaiser und zum Uebertritt zu
Frankreich zu bewegen. Aber der Graf erklärte,
er wolle lie b er als Bettler davon-
gehen, als dem Kaiſer die Treue
b r e ch e n. Darauf wurde er von den Fran-
zoſen als Gefangener nach Metz geführt und
erſt auf die Verwendung seiner Gemahlin bei
dem Kaiser und den auswärtigen Mächten frei-
gelassen, durfte aber nicht in sein Land zurück-
kehren. Er trat als Generalmajor in kaiserliche
Dienſte und wurde im Jahre 1677 in einem
. Gefecht mit Franzoſen in der Nähe von Straß-
burg tödlich verwundet. – Saarbrücken wurde
zwar in demselben Jahre von kaiserlichen Trup-
pen zurückerobert, aber nach dem Frieden von
Nymwegen (1678) ließ Ludwig RIV. durch die
Reunionskammer in Metz das Land als ehe-
maliges Metzer Lehen ſich gzuſprechen; die
Gräf.n-Witwe mußte ihm den ùLehnseid
schwören, und das Land wurde zur französischen
Saarprovinz erklärt. Zur Sicherung seiner Er-
werbung ließ Ludwig XIV. im Jahre 1680 auf
lothringiſchem Gebiet die Feſtung Saarlouis an-
legen. Ersſt im Frieden von Ryswyk (1697) er-
hielten die Grafen von Saarbrücken ihr Land
zurück, und die französischen Ansprüche ruhten
hi faſt 1900 Jahre bis zur franzöſiſchen Revo-
ution. |
Die Grafen von Saarbrücken ſuchten not-
gedrungen aus politischen Gründen ein gutes
î Verhältnis zu dem mächtigen Nachbar aufrecht
zu halten. Aber im Jahre 1793 rückten republi-
kanische Truppen mit dem Rufe „Krieg den
Palästen“ in Saarbrücken ein; Fürſt Ludwig
von Nasſau-Saarbrücken flüchtete vor ihnen
nach Mannheim und ſtarb im folgenden Jahre
in Aſchaffenburg; sein Sohn, der Erbpr nz Hein-
rich, fand im Jahre 1797 in der Nähe von
Fadetzhurg durch einen Sturz vom Pferde seinen
od.
Die. Franzoſen verübten im Jahre 1793 in
Saarbrücken ſchwere Bedrückungen und Gewalt-
taten. Den Einwohnern der Städte Saarbrücken
und St. Johann wurde eine Zwangsanleihe von
einer Million Franken abgepreßt, die fürstlichen
Schlöſsſer wurden ausgeplündert und in Brand
geſteckt, und zwei unschuldige Bauern wurden
auf dem Schloßplatze zu Saarbrücken durch die
ambulante Guillotine hingerichtet.
Durch harten behördlichen Druck gelang es
nur, 61 Bewohner des Saargebietes zu ihrer
Unterschrift unter ein Geſuch um Vereinigung
des Landes mit der französiſchen Republik zu
bewegen. Aber die große Mehrheit der Bevölke-
rung bewahrte ihren deutſchen Sinn. Damals
schrieb ein Saarbrücker Bürger: „W i r h a b e n
das Gute der frang öſ i ſchen R epu-
blik mehr, als uns li eb iſt, k enn en
gelernt, und viele Bürger finden
an d er neuen Herr ſchaft kein Ver-
g nü g e n.“ Andere sagten bei der Aufforde-
rung zum Anſchluß an Frankreich mit bitterem
Spott: „Da wir r ui ni ert ſind, sollen wir
uns mit ihnen r e uni er e n !“
Doch ſchließlich wurde das Land von Frank-
reich annektiert und gehörte ſeit dem Jahre
1797 zu dem Saardepartement, deſſen Haupt-
stadt Tri e r war. Die ehemalige fürstliche
Nesidenz Saarbrücken sank zu einer Landſtadt
herab, und ihr blühender Handel wurde durch
die Grenzſperre gegen Deutschland gelähmt. ~
Wenn auch durch d.e französſiſche Regierung die
Feudalrechte (Fronden, Zehnten und Leibeigen-
schaft) aufgehoben wurden, die übrigens durch
die letzten Verfügungen des Fürſten Ludwig be-
reits zum größten Teil. beſeitigt waren, ſo
wurde das Land doch durch ſchwere Steuern
hart gedrückt; gewissenloſe Beamte bereicherten
sich mit dem Gute der Einwohner, die Söhne
des Landes wurden gezwungen, unter der fran-
zöſiſchen Fahne für eine fremde Sache zu fechten,
die deutſche Sprache wurde verdrängt und
deutsche Sitte mißachtet.
Das Schickſal der Bewohner lag fast aus-
schließlich, in den Händen des allmächtigen
Gouvernementskommiſsars. Der erſte von ihnen,
Rudler, verſtand wenigstens die Sprache ſeiner
Untergebenen, aber seine Rachfolger von 1799
bis 1802 waren des Deutſchen unkundig. Be-
reichern wollten sich faſt alle Gouvernements-
kommiſssare, und alle mußten den oft wechſeln-
den Generalen die Mittel zugestehen, deren
diese bedurften, um das Land, welches sie mit
leeren Taſchen betraten, nicht arm zu verlaſsſen.
Eine große Zahl dienstunfähig gewordener Offi-
ziere der Revolutionsarmee sollte durch An-
stellungen, namentlich im Forſtweſen, von dem
sie nichts verſtanden, abgefunden werden; eine
Menge unwiſsender, abenteuernder Menſchen,
welche in den neugewonnenen Landen reich
. werden wollten, hatte sich im Gefolge der fran-
zösischen Heere eingefunden und verlangte, ob-
schon unbekannt mit der Sprache, mit den
Sitten und Gebräuchen des Landes, höhere oder
niedere Aemter für ihre der Republik wirkllee.
' oder angeblich geleiſteten Dienste. Ihnen ſchlos-
sen sich Deutsche, namentlich viele Klubiſten
und auch manche an, die den Franzosen als
Spione gedient hatten und sich nun ungeſtraft
für die vielfach erfahrene wohlverdiente Ber-
achtung rächen konnten. „Das Direktorium“,
sagt Görres, „behandelte die vier Departements
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