Saarkalender für das Jahr 1924.
ſpreiten. Ueber den Saatfeldern lag schon ein
matter Schimmer von Grün:
Dreißig Schneeglöckchenſträuzje hatte das
Mariele der Alten sorgſam in den Henktelkorb
verpackt und dabei der Lächelnden vorgerechnet:
„Dreißigmal zwanzig Pfennig sind sechs Mark!“
Kindlich froh war sie dabei umhergehüpft: „Groß-
mutter, zwei Taler! Bringſt Du mir auch
etwas mit?“
Großmutter hatte immer eine kleine Gabe
fürs Mariele, wenn sie heraufkam.
War der Weg den Berg hinab ſteiler gewor-
den über Winter, die Ebene zur Stadt hin
weiter? Die Alte mußte es glauben, als sie auf
der Bank beim Feldkreuz raſten mußte. „Das
Frühjahr“ ~ tröſtete sie ſich.
Mit müde zitternden Beinen betrat ſie in der
Stadt das erſte Lokal. Die Helle und die Fülle
genießender Menſchen verwirrten ſie faſt. Doch
ihre bekannten Gesichter fand sie wieder und
auch die gleichen willigen Käufer.
Und da ihr hier und dort ein freundliches:
„Ma, Großmutterchen, lebt Ihr auch noch? Was
macht's Mariele?“ zugerufen wurde, kam wieder
das alte zufriedene Lächeln in ihre Züge.
War es die Freude an dem herzigen Früh-
lingsboten der Veilchen-Lies, war es das Regen
herzlicher Teilnahme, wie das Greiſenalter da
ging in rührender Sorge um ein junges Men-
ſchenkind die Veilchen-Lies gab sich darüber
keine Rechenſchaft, als sie sich nach wenigen
Stunden im warmen Treppenflur des eleganten
Cafés todmüde in einem Korbſessel niederließ,
ein einziges Sträußlein noch im Korbe, und mit
traftlofer Fingern den Erlös des Nachmittags
zählte.
Acht Mark! Würde ſich das Mariele freuen,
das nur sechs ausgerechnet hatte.
Gott, wenn sie doch ſchon zu Hauſe wäre!
Ihr Kopf brannte heiß. Und die Beine wollten
ganz verſagen. Nur noch etwas ruhen wollte
ſie. Dann würde es ſchon beſſer werden.
Ein Aufwartemädchen huſchte vorbei, wandte
sich aber raſch um, als es die Alte erkannte.
„Großmutter, soll ich Euch eine Taſſe Kaffee
bringen? Gelt ja, sie wird Euch gut tunl“
Großmutter wollte ſchon. Sie nickte zaghaft,
heute durfte sie sich die kleine Ausgabe ſchon
geſtatten. Und fürs Mariele wollte sie ja auch
noch recht viel mitnehmen, das Kind auch wie-
der einmal recht froh zu machen.
Ein Silberkännchen voll Kaffee ſtand vor ihr,
daneben ein Körbchen voll Kuchenſtücke. Sie
zögerte, was würde das koſten?
Das Mädchen, das ihr die bange Besorgnis
im Geſicht ablas, lächelte: „Laßt's Euch nur
gut schmecken, Großmutterchen. Die Madame
hat's Euch geſchickt.
Da purzelten der Alten zwei helle Tropfen
über die runzeligen Wangen. Mit zitternden
Händen reichte ſie das letzte Schneeglöckchen-
ſträußchen dem Mädchen: „Nehmts, gutes
Fräulein, und sagt der Madame auch mein |
§ i.
Mere! Tüte ließ sie ſich noch bringen, darin
die aufgeſparten Kuchenstücke mitzunehmen |
fürs Mariele. ~
Als nach geraumer Zeit das Mädchen wieder-
kam, um das Geſchirr wegzunehmen, saß die
Alte da in dem Seſſsel zurückgelehnt. In ihren
Zügen lag ein leiſes, friedliches Lächeln, als
sei ſie mit einem schönen Traum von Frühling,
Blumen und frohen Kinderaugen ſanft ein-
geſchlummert.
Sie war tot.
Und in ihrem Schoße hielten die gefalteten
Hände feſt umſchloſſen, was sie hatte mitnehmen
wollen –~ fürs Mariele . . .
Seitenansicht! des Schlosses in Saarbrucken.
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