Full text: 2.1924 (0002)

Saarkalender für das Jahr 1924. 
Ein offenes Wort an den Präſidenten Rault. 
Der katholiſche Geistliche, Herr Pfarrer 
Bungarten, wandte sich mit einem Schreiben 
vom 4. Mai 1923 an den Präſidenten der 
Regierungskommission, Herrn Rault. Er 
erhebt in der Schrift Einspruch gegen die 
bei ihm vorgenommene Hausſuchung und 
spricht die Erwartung nach einer Genug- 
tuung für die ihm widerfahrene Kränkung 
aus. Das Schreiben ist so charakteriſtiſch 
für die Zuſtände im Saargebiet, daß wir 
es in ſeinem Wortlaute wiederzugeben für 
wünſchenswert halten: 
Saarbrücken, den 4. Mai 1923. 
; Herr Präſſident! 
Sie haben auf Grund des Rechtes, das ſich 
die Regierungskommiſssion durch die bekannte 
Notverordnung gegeben hat, Veranlaſſung ge- 
nommen, bei mir eine Hausſuchung abhalten zu 
laſſen und dann darüber in einem öffentlichen 
Kommuniqus, das ſicherlich seinen Weg nach 
Genf gehen sollte, geſchrieben: 
„Die geheimen Organisationen, welche ge- 
waltſam den durch den Friedensvertrag von 
Versailles geſchaffenen Zustand beseitigen 
wollen, und deren Umſlichgreifen auch die 
deutsche Regierung befürchtet, hatten das 
Beſtreben, ihre Tätigkeit auf das Saargebiet 
auszudehnen. Um ihr für die öffentliche Ord- 
nung äußerſt gefährliches Vorgehen zu ver- 
hindern, hat der Präsident der Regierungs- 
_ üomnmisſſsion am 5. April 1923 die Vornahme 
von Hausſuchungen angeordnet, ſowohl bei 
denjenigen Personen, von denen betannt 
geworden war, daß sie Mitglieder dieser 
Organisationen seien, als auch bei denjenigen, 
deren Namen durch die eingeleiteten Ermitte- 
lungen feſtgesbellt worden sind.“ 
Damit haben Sie es für recht befunden, 
meinen Namen und meinen Stand in der 
breiteſten Oeffentlichkeit mit gemeingefährlichen 
Organisationen in Verbindung gzu dbringen. 
Beide Tatsachen geben mir das Recht und die 
Pflicht, Ihnen und der Oeffentlichkeit gegenüber 
ein Wort zur Klarstellung und Verteidigung zu 
sprechen. Als katholiſcher Geistlicher und 
Deutscher sehe ich mich veranlaßt, gegen dieses 
ungewöhnliche Vorgehem die ſchärfſte Ver- 
wahrung einzulegen; ich ſtehe nicht an, die 
amtliche Veröffentlichung, soweit sie sich auf 
meine Perſon bezieht, als unrichtig zu be- 
zeichnen und Sie, Herr Präſident, dringend zu 
bitten und aufzufordern, nun auch öffentlich den . 
Beweis für Ihre Behauptung anzutreten. Die 
von Ihnen angeordnete Hausſuchung ſelbſt ist 
für mich als Geistlichen eine persönliche Be- 
leidigung und eine kränkende Ungerechtigkeit. 
Jedem tatholiſchen Geiſtlichen, auch mir, ver- 
bietet das Amt und das Gemwiſſen, geheimen, 
gemeingefährlichen Organisationen anzugehören. 
Grundſätzlich verwerfe ich jeden gewaltsamen 
Umsturz, mag er von unten oder von oben 
kommen, und voll und ganz unterwerſe ich 
mich, ohne daß ein Chriſt mich einer Schwäche 
geihen wird, dem Worte des Apoſtels Petrus, 
das die Kirche am dritten Sonntag nach Oſtern 
verkündet: „Jhr Knechte unterwerfet Euch mit 
aller Ehrfurcht Euren Herren, nicht allein den 
guten und nachsſichtigen, sondern auch den 
schlimmen.“ Ich hätte mich glücklich geschätzt, 
Herr Präsident, mich mit Ihnen in daieſer 
Bewertung des geiſtlichen Standes einig zu 
wissen. Mit der von Ihnen befohlenen Haus- 
suchung Haben Sie dagegen eine dem katho- 
liſchen Prieſter und dem katholischen Volke an 
der Saar fremde Auffassung bekundet. 
Sie wollen mir dann auch erlauben, Herr 
Präsident, auf das Unberechtigte dieſer Haus- 
suchung hinzuweisen. Wie Ihr Peolizeimajor, 
Herr Collet, mir beſtätigtbe, iſt die einzige Ver- 
anlaſſung zu der Hausſuchung die Tatsache ge- 
wesen, daß man meine Adresse in einem be- 
schlagnahmten Notizbuche gefunden hat. Wenn 
Sie, Herr Präsident, diesen Befund für hin- 
reichend ansehen, um damit eine Hausſuchung 
bei mir zu begründen, dann muß ich das be- 
rechtigte Gefühl Haben, daß wir im Saargebiet. 
unter den Augen des Völkerbundes der ver- 
fassügsmäßigen Garantie für Schutz der 
Person entbehren. Ich habe aber auch das 
Gefühl, daß der Völkerbundsrat in ſeiner 
Auffaſſung von der persönlichen und politischen 
Freiheit der ihm zu treuen Händen anbefohlenen 
Saarbevölkerung eine so empfindlich treffende 
Polizeimaßnahme aus solchen Anlässen ene. 
schieden verurteilen wird. 
Es sei mir gestattet, auch von meinem 
deutschen Standpunkte aus die von Ihnen bei 
mir veranlaßte Hausſuchung zu werten. Geburt, 
Erziehung, innerſte Herzensüberzeugung ver- 
binden mich für immer mit meinem deutſchen 
Vaterlande. Meine Heimat werde ich nie ver- 
leugnen. Die Freiheit, die der Versailler Vertrag 
mir gibt, werde ich benutzen, um lediglich auf 
Grund des bestehenden Rechtes, das für die 
Regierungskommission und mich das gleiche iſt, 
für das Deutschtum an der Saar einzutreten, 
soweit mein perſönlicher Einfluß reicht, und 
alles zu bekämpfen, was das angeſtammte 
Deutschtum des Saarvolkes gefährden könnte. 
Hierbei verlaſſe ich mich lediglich auf mem 
gutes, im Versailler Vertrag garantiertes Recht, 
das ich mir von keinem Menſchen des Saar- 
gebietes verkümmern lasse, da es mir heilig iſſt. 
  
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