Full text: 1923 (0001)

Saarfalender für das Jahr 1923 
Während du di in all die Schönheiten hineinverſenkſt, ftußt du auf einmal, und ſchauft du noh 
einmal hin, genauer, dann ſtößt du einen Jauhzer aus, denn dort oben haft du ein hHüttlein ge- 
funden, klein und winzig anzuſehen, aber ſo kühn und verwegen auf einem Selsvorſprung neben 
dem Gletſcher ſtehend, daß es dich ordentlim bangt ums Hüttlein. Du weißt es ſofort, daß das 
Hüttlein dort oben die Saarbrücker hütte ift, und nun hält es dih nicht länger auf deinem Stand. 
Drei Stunden mußt du nod fteigen, jftets den Blik auf Litner, Seehorn und Hütte gerichtet; 
immer größer werden die -beiden Berge, immer gewaltiger die 6letſcher, aber auch das Hhüttlein 
wächſt mehr und mehr, und wenn du erft vor ihm ſtehſt, ſtehſt du nicht vor einer Hütte, ſondern 
vor einem anſehnlimen Hauſe. Die Gletſcher liegen nun zum Teil unter dir, während Liner und 
Seehorn in einer Erhabenheit und Majeſtät aus den Gletſchern emporfteigen, daß du ſchier glaubft, 
dieſer Welt entrückt zu ſein und ein Bild aus einer andern Welt vor dir zu haben. 
Während du noh ſchauſt und ftaunſt, öffnet ſim leiſe die Hhüttentür, und vor dir ſteht Kathi, 
die Hüttenfee, reimt dir mit einem herzlichen „G6rüß Gott“ die hand und heißt di willkommen im 
Reiche der Saarbrücker Hütte. Du überbringft ihr die Grüße, die dir von Saarbrücker Bekannten für 
ſie aufgetragen ſind, wenige Minuten ſpäter haft du das befte Zimmer in der ganzen hütte, und 
auh in Speiſe und Trank bift du ſpäter der bevorzugte unter allen hüttengäſten. Nachdem du dich 
umgekleidet haft, gehft du ins 6aftzimmer, einen äußerſt geſchmackvoll eingerichteten Raum, deſſen 
Wände, Decke, Tiſjme, Stühle und Bänke wie bei allen übrigen Räumen der hütte aus Naturholz 
beſtehen. An den Wänden findeſt du eine Anzahl hervorragend ſchöner Alpenphotographien, und 
wenn du genauer hinſiehft, weißt du, daß dir dort die Kunft unſeres heimiſchen Photographen 
Auguft Rupp entgegenlaht. Zugleich will im dir verraten, daß auh der Bau urrd die Einrichtung 
der Hütte: von einem Saarbrücker Kopf erſonnen ſind. Es war Herr Architekt SHmoll, dem wir 
dieſes SHmuckkäftH<en verdanken. Während du dich auf die Bank niedergelaſſen haft und die erſten 
Züge des Tiroler Spezial ſchlürfft, fällt dein Blik auf einen Spruch, der die Tür des hüttenzimmers 
ziert. Sreudig bewegt Jieft du den Wahrſpruh der Saarbrücker Hütte : 
„Stolz in der Berge ragenden Kreis 
Hebt ſich der Litzner aus ewigem Eis, 
6leißend und glänzend im Sonnenſtrahl 
Stürzet der Gleticher ins Kromertal, 
Sern her vom felſigen, dunklen -Hang 
Tönt der Lawine donnernder Klang. 
Und inmitten der Wunderwelt 
Stehet die Hütte auf "Zelien gefeilt, 
Ladet den Wandrer na Muhſal und Laſt 
Gaſtlich erquickend zu ſtärkender Raft. 
Stürmen -und Weitern halte nun Stand 
Saarbrücker Bütte im Alpenland.“ 
Heimatliche, warme Gefühle durchſtrömen did, du biſt ftolz auf die Heimathütte im Alpenlande, 
denn jetzt haft du es mit eigenen Augen geſehen, keine ſchönere Stelle faſt im. ganzen weiten Alpen = 
gebiet hätte für die Hütte ausgewählt werden können, und wo in den Alpen findet man eine 
Hütte gleich dieſer an Einrichtung und Sreundlichkeit im Innern. Außer dem Gaſftzimmer, in dem bei 
einiger Einſmränkung 30 Perſonen weilen können, hat ſie eine geräumige Küche, 7 Schlafzimmer 
mit je 2 Betten, 2 Matratzenlagerräume mit zuſammen 10 Lagerſtätten, ferner Keller, Speicher und 
ſonſtiges Zubehör. An beſonders verkehrsreihen Tagen haben ſchon mehr als 50 Perſonen in der 
hütte übernachtet. 
Vor der Hütte, die beiläufig bemerkt in einer höhe von 2600 Metern liegt, laſſen ſim eine Anzahl 
hervorragend ſchöner, dabei durFHaus unſ<hwieriger Bergbefteigungen machen. Saft alle Berge in der 
umgebung der hütte ſind Ausſichtspunkte erſten Ranges. Wirklich ſchwierig iſt nur die Beſteigung 
von G6roß-Lihner und G6roß-Seehorn, wohl die ſchwierigſte Tour in der Silvretta und eine der 
ſchwierigſten der Tiroler Zentralalpen überhaupt. Wie die Zacken zur Krone gehören, ſo gehören dieſe 
beiden Berge zur Saarbrücker Hütte, und ohne die Ueberquerung von Likner und Seehorn wäre die 
Schilderung der Saarbrücker Hütte nur eine halbe Schilderung. 
Keinen beſſeren Sührer findeft du zu dieſer ſHhweren Tour als Sranzel, den Bruder Kathis, der in 
den drei Sommermonaten, in denen die hütte geöffnet ift, jeden zweiten Tag zur Hütte emporfſteigt, 
um ſie mit Proviant zu verſorgen. Um 4 Uhr morgens verläßt du mit Sranzel die Hütte ; gleich“ hinter 
ihr nimmt dich Sranzel ans Seil, denn nur wenige Schritte von der Hütte entfernt beginnt der Glet 
ſcher, ein wildzerriſſener, ſpaltenreicher heimtückiſcher Geſelle, der keinen Spaß verträgt. Eine Anzahl 
ſ<maler Spalten können überſprungen werden; Stellen, die mit Shnee bedekt ſind, werden vorſichtig 
und mit dem Pickel taſtend überſchritten. Später beginnt der Sels. Zunächſt iſt er harmlos biz zu der 
Stelle, wo der eigentliche 6ipfel des 6roß-Litßners, ein frei in die Luft ragender, ſhmaler Zahn 
von 300 Meter Höhe beginnt. Nun fängt ſchwere Arbeit an. €s ſind eine Anzahl faſt ſenkrechter 
Wände zu erklettern, die mitunter nur ſolch winzige Griffe und Tritte haben, daß gerade noh die 
Singerſpiken und gerade noch ein kleines StückHen vom Rande des Schühes aufliegen. Sranzel klettert 
voran, das Seil feft um die Bruft gebunden, das du unten hältſt. Sobald er eine Stelle gefunden hat, 
auf der er halbwegs feſtſteht, ruft er dir zu, und nun bindeſt du dir das Seil um die Bruft und 
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