Full text: 1923 (0001)

Saarkalender für das Jahr 1923 
Der alte Schrank. 
Aus den „Soaorländiſchen Bildern" von Liesbet Dill. 
Es war ein koloſſales Möbel. 
Der Hofſchvoeinermeiſter hatte gewiß nicht 
am Kirſchbaumholz geſpavt, die buntgetönten 
Einlagen waren tadellos glatt ausgefallen 
und mit ſeinen Elfenbeinkanten eingeſcht, 
an den. Schubladen hingen ſchwere Brifie 
aus getriebener Bronze mit gekrönten 
Löwen, eine Anſpielung auf das fürſtlich- 
naſſauiſche Wappen. In der Mittz war ein 
EGdhreibſekretär eingebaut mit herunter- 
klappbarexr Blatte, die mit blauem Leder 
beſpannt war, und vielen kleinen Schub- 
fächern, alle mit roſa Papizr beklebt, ſogar 
ein Gehemnfah war darin, in dem oberen 
breiefagigen Schrank konnte man ein ganzes 
Hochzeitsfervice unterbringen und in die 
Schubladen unten bequem ein vierjähriges 
Kind legen. Er war dem Hofſchreinermeiſter 
etwas zu groß geraten, und er war ſehr ents 
täuſcht, daß ſein Meiſterwerk der jungen 
Fürſtin nicht gefiel. 
Das Jagdſchloß war einfach eingerichtet 
mit niedrigen Sälen und ſchlichten Möbeln, 
aber die Salons der jungen Frau waren 
bell, graziös und elegant. der Schwank ſah, 
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zwiſchen den zierlichen Boulemöbeln aus 
wie ein Bauer in Sonntagstraht, der zur 
Stadt gekommen iſt. So wurde der Schrank 
im das Schlafzimmer der Fürſtin geſtellt, 
neben das Fenſter in die tiefe Niſche, die 
nach dem Hof 9inausſah. 
Wonn die Fürſtin zu den Jagden aus der 
Stadt herkam, trank ſie ihre Morgenſ<oR0- 
lade auf ſeiner Platte, und Krizelte ihre 
kleinen Briefen davauf, und in den Schub- 
fächern legte ſie die feine Wäſche für den 
künftigen Erbprinzen, den man erwartete. 
Ev war mit ſeinem Schickſal garnicht un- 
zufrieden, der Schrank, ſtand er doh. an 
einem recht neugierigen Plätzchen und konnte 
clles ſehen, was in !'dem großen Hofe vor 
ſich ging. 
Rings um das Jagdſchloß dehnte ſich 
weilenweit herrliher alter Buchen- und 
Eichenwald mit mächtig ausladenden Kronen, 
in denen der Wind vauſchte. Dieſe Wälder 
waren ein unſchäßbarer Beſik für einen 
paſſionierten Jäger wie den Fürſten Ludwig. 
Dieſer Landesfüvrſt hatte eine Vorliebe für 
die Jagd, für Pferde und Soldaten und die
	        
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