Saarfalender für das Jahr 1923
Prinzeſſin die Gottheit ſelbſt und wir nur
armſeliger Straßenkot von ihren Schuhen!“
„Infamie --!“ ziſchte Cornelie. „Und über-
haupt dieſer Unfug vom Alten, die ganze
Bude umzukrempeln! Haben Sie den neueſten
Ukas von heut nachmittag ſ<on genoſſen?
Alle miteinander haben wir in weißen Klei-
dern anzutreten, wie die Shulmädels zum
Spalierſtehen, Roſenkränzhen im Haar,
Roſengirlanden in iden Händen! Wie ie
Klippſhülerinnen in Stallupönen!“
„Kommen Sie, Nelly, in irgend eine Kon-
ditorei! ich muß was für mich tun, ſonſt geh'
ich aus dem Leim.“
„JT ſpendier' zwei Mohrenköpfe!“
„Und ich zwei Kognaks, brr!“
-- Bald ſaßen die Freundinnen in einem
behaglihen S<waßwinkel, Kkippten mit
männlicher Energie den Schnaps hinunter
und ſtürzten ſich dann mit weiblicher Inbrunſt
auf die Mohrenköpfe.
„Na, nu zeigen Sie mal her den Wiſch.“
Valeska ſc<hmiß idas Konzept des direk-
torialen Huldigungspoems auf den Tiſch, daß
Gläſer und - Tellerhen klixrtben. „Leſen Sie,
aber bitte nicht laut, ſonſt muß ich aleich noh
zwei Kognaks beſtellen.“
Trotz dieſer Drohung las Cornelie vor:
„Mit Jauchen heißen wir willkommen
dich, junges Reis rus ſtolzem Stamm,
all unſre Herzen ſind entglommen
zu lovernder Bege“ſt'rungsflamm'.
Wir tragen Roſen in den Händen
und Roſen in dem Henzen -auh,
dix unſre Huldigung zu ſpenden
nach frommer Mädchen jugend Brauch.
Ach, hoh da droben thronſt du Hohe.
wir aber haufen tief im Tal --
9h, daß gu uns hernielderlache
von deiner Huld -ein gnäd/ger Strahl!
Erhab'ne Fürſtin =- laß dich grüßen,
du, unſres Landes holde Zier!
im Demut legen wir zu Füßen
die Roſen und die Herzen dir!“
„Donnerwetter!“ ſagte die Leſerin, „Sie
haben recht, Valeska! Kellner, noh zwei
Schnäpfe! --“
„Alſo, Kinder, det mack' ich nich, ic<
ſtreike!“ erklärte die Braune mit geballten
Fäuſten.
„Sie werden heiſer werden, nicht wahr?“
„Heiſer? ac wo = dann macht's 'ne
andere, und wir alle ſind genau ſo blamiert
wie zuvor =- ich hab's! ih . . . Sie wiſſen
ja . . . ich. . . reime mir zuweilen auch mal
was zuſammen * . . ſo gut wie unſer Oller
kann ich's zehnmal . . . ih... im dichte
ſelber was ... wie mir der Schnabel
gewachſen iſt . . . und das ſchieb' ich dann
einfach unter!“
„Baleska! um Gotteswillen . . . das gibt
ja 'ne Kataſtrophe = die Halle fällt Jhnen
überm Kopf zuſammen! allermindeſtens
fliegen Sie von der Anſtalt , . .“
„Na, wennſ<hon! Ih hab' die ſtumpf-
ſinnige Knipſerei ſchon lange dik. Malerin
will iq werden . . . Künſtlerin . . .“
„Ja, Sie!“ ſagte die Blonde und ſchaute
voll Bewunderung und leiſen Neides zu der
Kollegin auf. „Sie bringen's fertig =!“
Der große Tag war da. Alſo wirklich,
„wie ein Märchengarten“ ſah ſie ſchon aus,
die Anſtalt =- wie ſo einer, den der Regiſ-
ſeur einer Vorſtadtſ<hmiere für ſeine Weih-
nachtsmärden-Kinbervorſtellung aufbaut. Die
Generalprobe für die Aufſtellung der Schü-
lerinnen hatte ein paar Stunden gedauert.
Die vorgeſchriebenen weißen Kleider wieſen
die ſeltſamſten Verſchiedenheiten in Schnitt
und Machart auf -- von den verwaſchenen
Muſſelinfähnhen der Paſtorstöchter aus
Trewenbrießen und Königswuſterhauſen bis
zur pikant ſein ſollenden Ballrobe der
Schöneberger Kaufmannstöhter und der
ſezeſſioniſtiſc<en Linie, in der ſich die jungen
Drittel- und Halbkünſtlerinnen aus dem
photographiſchen Lehrſaal gefielen. Und wie
ſtand die täppiſche Holdſeligkeit der kKünſt-
lihen Roſenkrängelein zu idem bewußten,
ſchmippiſchen Lächeln, der Arbeitsſtubenbläſſe,
den dreiſten, herausfordernden Augen all der
ſehzehn- und achtzehnjähriven Weltſtadt-
mädels zu ihren phantaſtiſchen Friſuren,
ihrem gangen queckſilbernen Gehabe und
tuſchelnden Geſchwäß!
Inmitten ſeines Lehrerkollegiums harrte
der Direktor und Poet nach tapfrer deutſcher
Sitte frühmorgens um eif bereits im Frack,
in deſſen Knopfloh der Kronenorden vierter
Klaſſe fröſtelte, in: mitleidheiſchender Ver-
lorenheit. Die Shnurrbartſpißen waren ſteil
nach oben gebrannt, die ſonſt ſo herriſchen
Züge waren fahl und zuckten nervös, wäh-
rend die weißbehandſchuhte Rechte ein über's
andere Mal das ſeidene Tuch zur ſpiegelnden
Stirn führte. JImmerfort flogen die Blicke
des Anſtaltsgewaltigen zu Valeska Meier
hinüber mit einem Lächeln, das einen be-
ruhigenden, rückenſtärkenden Eindruck machen
ſollte, und in Wahrheit nur ein ſtummer,
brünſtiger - Shrei war: laß bloß du mich
heute nicht im Sti --! Von Zeit zu Zeit
trat er haſtig an die Seite ſeiner Schülerin
und flüſterte"ihr zu: „Nur Ruhe, liebes Kind,
nur Ruhe -- und wenn Sie ſtecken bleiben
ſollten, hat's nichts zu ſagen -- ich ſtehe
hinter Ihnen und ſouffiliere!“
Und wirklich, in dieſem Punkte war
Valeska auch vollkommen beruhigt . . . ja,
den Souffleur wußte ſie an ihrer Seite: ihre
Getreue, die blonde Cornelie Lehmann ...
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