Saarkalender für das Jahr 1923
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ſich um das Eſſen kümmern. Die Frau hatte „höhere“ Aufgaben : „Aechzend und jagend von Bank
zu Bank, eilen ſie emſig die Straßen entlang, nur von dem einen Gedanken getrieben, nicht kümmern
ſie ſich daheim um die Lieben, ſie müſſen ja wechſeln zum höchſten Kurs, bevor noc< eintritt der
drohende Sturz, ſo treibt ſie das ſchwankende Börſenſpiel in jagender Haſt zum böſen Ziel!“ Allerlei
ergößliche Szenen zeitigte dieſer Frankentaumel. Auch in den Familien der Beamten iſt die Frage
des Tages, wie der Frank ſteht, denn das Wichtigſte iſt doch der Kurs. Wie er die Moral feſtigt,
dafür nur ein kleines Beiſpiel. Hatte da eine Beamtengruppe ihr Monats3einkommen ſchon vorher zu
einem guten Kurſe verkauft. Doch am Tage. des Empfanges war er noc< höher, der Kurs nämlich.
Saure Geſichter, den ſchönen Gewinn ſich entgehen zu laſſen. Doc< man half ſich, brach das
Geſchäft, wollte nicht den Franken, obwohl man ihn doch ſchon vorteilhaft verkauft hatte, aus der
Hand geben, denn er hatte Ausſicht, noch höher zu ſteigen. Was konnte ſchließlich kommen? Eine
Klage auf Erfüllung. Man ſah ihr ruhig entgegen. Durch den höheren Kursſtand konnte man "die
Klage leicht bezahlen, den Gewinn hatte man ja in der Taſche, fiel der Kurs aber bis zum Urteil,
nun, dann gewann man wieder, indem man nun die billigeren Franfen erwarb und ſie dem Käufer
gab. Wieder mit einem Vorteil. Vorteil, nur Vorteil heißt die Parole, ob auch der letzte Reſt der
Moral flöten geht. Dieſes ſinnreiche .Kursſpiel hat ſich bis in die Familien hineinverpflanzt, damit
die Leute = rechnen lernen!
Wo Franken ſind, da ſind auch Banken, und von einer Unzahl neuer Bankinſtitute und Wechſel-
ſtuben iſt unſere Stadt Saarbrücken beglückt worden. Hier verwirklicht ſich das Wort: „eins, zwei,
drei, an 'ner Bank vorbei!“, das zum beliebten Kinderſpiel für Erwachſene geworden iſt.
Verzeichnen wir noch eine Volkswohlfahrt.. Man beſcherte uns die neuen Briefmarken als Hoheits-
zeichen des Duodez-Staates. Wir mußten zwar dafür ein mehrfaches, überhohes Porto bezahlen, das
das Geſchäft erſchwert und den Briefwechſel mit den Lieben im Reiche faſt unmöglich macht, aber die
Sammler ſchmunzelten, ebenſo die Schieber, die ſich nun auf das Nachmachen der ſeltenen Stücke und
auf das Verſchieben legten. Die Schiebergilde hatte einen neuen Geſchäftszweig, der anfänglich prächtig
blühte. Der Volkswitz rächte ſich dafür mit beißendem Spott an den neuen Markenbildern. Eines
davon ſtellt bekanntlich eine Schleife der Saar dar. Hier krümmt ſich die Saar ordentlich vor Ver-
gnügen unter dem Glück, das wir genießen, lautete der Spruch, den .man darauf münzte. Man hat
ja auch alle Urſache dazu, ſich in einem derben Scherze das Herz zu erleichtern.
Hoher Franken, billiger Einkauf iſt die Parole für Saarbrücken geworden, und ſo erleben wir denn
hier verſchiedene Ausverkaufsſtürme, die bis heute no< andauern. Die Nachbarn aus Lothringen und
aus dem Elſaß überfluten das Saargebiet, in dem ſie alles, was ſchön und teuer iſt, mit ihrem Franken
für einen Apfel und ein Stü>k Brot hamſtern können. Was auf dieſen Hamſterzügen alles eingeramſcht
wird, geht ſozuſagen auf keine Kuhhaut. Ausſteuern für die Nachkommen, die noc< in den Windeln
liegen, Klaviere, Speiſezimmer, Herrenzimmer, Schlafſalons werden ſich in „komfortablen“ Stuben gar
ſinnig ausnehmen. Wa3 an Hausgerät und Konfektion über die Grenze wandert, iſt unüberſehbar.
Ein biederes Weib wandert mit einem Straußenfedernhut, der das Haupt der nicht Allzuſchönen wie
ein Jndianerſkalp ſchmückt, in der Dorfſtraße bewundert einher. Hier kauft eine Bäuerin ein ganzes
Dußend Zuckerzangen, was ſie damit anfangen will, weiß ſie zwar nicht, dort den ganzen. Reſt an
Kuchenſprißen, denn es iſt ja alles ſo billig, daß es des Mitnehmens auf alle Fälle wert erſcheint.
Die nahe Grenze fürchtet man nicht, denn man weiß ſchon durchzukommen. Schwer bepackt, auch
ünter den Röcken und in den intimſten Kleidungsſtüken, wandern die Hamſterer davon, um ſo bald
als möglich wiederzukommen. Die Geſchäftsinhaber klagen, daß ihnen die Sachen aus den Händen
geriſſen werden, jammern, daß die Stapel leer ſind, und ſtöhnen, neue Waren kaum beſchaffen zu
können, da ſie noch immer im Preiſe ſteigen und äußerſt knapp ſeien. Und doch veranſtalteten ſie im
Sommer wieder einen Ausverkauf, der Saarbrücken aufs neue zum Jahrmarkt machte. „Erkläret mir
Graf Orindur = =< =- =!“ Und dabei vernichtet ihr Kapitalſchwund immer mehr den neuen Ein-
kauf. Darf man's noch glauben, wenn ſie ſelbſt zum Kaufe anreizen?
„Wer nach dem äußeren Bilde heute Saarbrücken beurteilt, muß glauben, daß wir in den Zeiten
höchſten Aufſchwunges ſtehen. Ein Haſten und Treiben, ein Schieben und Drängen in den Straßen,
ein Verkehr von Wagen und Autos, daß niemand mehr ſeines Lebens ſicher iſt. Und was3 alles in
dieſen Autos fährt? E38 iſt zum Lachen, wenn'8 auch gar traurip iſt. Vornehmer wird es ſchon,
nicht im Auto zu fahren, Starker Verkehr iſt Handel und Wakdel, gilt als die Blüte erwünſchten
Aufſchwunges, doch iſt e8 nur eine ganz ungeſunde Scheinblüte, die ihren vergifteten Odem entfaltet.
So kann es nicht weiter gehen. Die Teuerung in Saarbrücken ſteigt, wir ſchlagen auch hier den
Rekord in Deutſchland, marſchieren ſozuſagen an der Spiße! Doch ſtolz darauf zu ſein, brauchen wir
wahrlich nicht! Einſtweilen fließt aber noch ein Strom des Verdienens in die Taſchen derer, die
ſkrupellos die Zeit zu nußen verſtehen, ohne von Rückſicht auf den lieben Nächſten beſchwert zu ſein.
Wer Ellbogen und kein Gewiſſen hat, gebraucht ſie. Wo Geld verdient wird, wird auch Geld aus-
gegeben. Wer die Wirtſchaften, und Lokale in den Hauptverkehrsſtraßen durchwandert, kann ſeine
Studien machen. Schmaßend und ſchwaßend ſitzen die Weiblein hinter Bergen von Kuchen und tun
ſich daran gütlich mit früher nicht gefanntem Behagen. Schon rein äußerlich bekunden ſie, daß ſie
der Umgebung ungewohnt. Sie gleichen das Manko durch die Ungeniertheit des Benehmens aus.
Zn den Speiſewirtſchaften kann man ſeine ſtille Jreude an den Degenſchlu>kern haben, die ſich kühn
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