Saarfalender für das Jahr 1923
Plößlich ringeln ſie ſich zuſammen, ohne daß ich zunächſt die Urſache dieſer überraſchenden Bewegung
begreife. „Sie wittern einen Feind!“ Er erſcheint auch ſchon in wilder Haſt auf der Bildfläche und
läuft ſofort wütend Sturm. Jmmer wieder verſucht der Störenfried den Stengel eine3 Glo>en-
tierc<ens zu erhaſchen. Glückt ihm dies, ſo iſt der Angegriffene verloren und eine willkommene
Beute. In dem Kampf macht das in Not geratene Tierchen ſichtlich bei jedem Vorſtoß des
Gegners den Verſuch, ihn in den Glockenkörper hineinzuſtrudeln, gelingt dies, dann bezahlt er
ſeine Kühnheit mit dem Leben. Noch eine Reihe immer heftigerer Attacken! Plößlich, Halali!
Weg hat ſie ihn, er iſt „gedeckelt“, Triumph der Unſchuld! Die Glocke baumelt, leiſe vibrierend,
über dem Todeskandidaten. Merkwürdig, die benachbarten, angſtvoll geringelten Stengel richten
ſich ſofort na<h der Entſcheidung wieder ſtolz in die Höhe. Wer kündete ihnen den Au8gang des
Turniers, woher ahnen ſie den Sieg des Genoſſen? Ein Rätſel. Nur der glückliche Kamerad
läßt ſeine Glo>e noc< etwas ſchief hängen; ich vermute Verdauung3beſchwerden, nicht ganz
wohl nach Kampf und opulentem Feſtmahl. -- Kampf ums Daſein überall! Im Lichte und
„tief unter der Erd'“, nur die Formen ſind verſchieden. Jm Grunde aber dieſelbe düſtere
Tragödie auf der ganzen Erde.
Der Vorhang fällt für mich mit dieſem feſſelnden Schlußakt, das Spiel iſt aus. I< reiche
dem freundlichen Biologen meine biedere Rechte und danke ihm für eine Stunde ungeahnten
Genuſſes. Wir ſprechen noch miteinander wie zwei gute Kameraden. Er hat ſeiner wiſſenſchaftlichen
Tätigkeit alles geopfert, auch an äußeren Mitteln. Ein ſeltener Erfolg blieb ihm von Anfang an
treu zur Seite. Aber die Zukunft des Inſtituts iſt nunmehr in Frage geſtellt. Wer ebnet hier
deutſcher Wiſſenſchaft das Feld? Es wäre doch ſehr betrübend, wenn hier erfolgverheißende
Arbeit an der Geldfrage ſcheitern würde. In weiteren Geſprächen gedenkt Herr Ziegelmayer noch
mit warmen Worten des Entgegenkommens der Bergbehörde, die ihm ungehindert den Zutritt
zu den Gruben geſtattet und in liebenswürdiger Weiſe erleichtert. Zu beſonderem Danke fühlt
er ſich, und wir mit ihm, gegenüber dem Präſidenten Defline, dem Techniſchen Direktor Sainte-
Claire - Deville, dem Laboratorien - Direktor gleichen Namen8 und dem Chef des öffentlichen
Dienſtes Cuvinot verpflichtet. Ein freundlicher Akt dieſer Art verdient unter den heutigen
Verhältniſſen doppelt Anerkennung.
I<. verabſchiede mich und ſchlendere dankbaren Herzen3 durch die Straßen, nach dem Geſehenen
zuerſt im Hochgefühl menſchlicher Größe, dann kleinmütig in dem Gedanken: Tappen wir nicht
auch im Dunkeln, vergraben im Schlamm unſerer Leidenſchaften, ſelbſt über die erſten und
wichtigſten Fragen unſeres Lebens, über Woher und Wohin, völlig im Unklaren! Im Hinblick
auf das unendliche Weltall, wie klein, wie nichtig unſer Leben! Ein Fünkchen, das aufleuchtet
und ſofort wieder erliſcht. Im Ewigkeit8gedanken, wie flüchtig unſer Daſein, auch ein Nichts,
wie ein Rädertierchen in den Wetterſümpfen de8 Saarrevier3. Nur die Sehnſucht, der Drang,
das LebenSrätſel zu löſen, die Wahrheit zu ſuchen, bleibt uns eigen al8 das ſchönſte und edelſte
Gut der Menſchenſeele. Es lebt in unſerm Landsmann, der ſich abmüht im Dienſte deutſcher
Wiſſenſchaft. Jhm und ſeiner Arbeit im Namen des geſamten Saarreviers ein herzliches
Glüd auf!
St. Johanner Nachklang.
„Wenn ääner ebbes kann,
35 er vun Sangehann!“
(Altes Sprebenwort.)
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