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2. Das Resümee der französischen Militärregierung
Die Militärregierung zog eine eher resignative Bilanz ihrer Entnazifizierungspolitik.
Einer derjenigen, der sie als letztlich völlig überflüssig, da wirkungslos einschätzte,
war der Bezirksdelegierte in Trier, Pierre Julitte, der frühere Kabinettsdirektor Het-
tier de Boislamberts. Er warf der Militärregierung vor, es versäumt zu haben, zum
richtigen Zeitpunkt zuverlässige Personen in die verantwortlichen Stellen der deut
schen Verwaltung zu setzen: Entre l'etat des administrations ä notre arrivee en 1945
et l'etat qui y regne aujourd'hui, il n'y a presque aucune difference. On a nettement
Vimpression que l'epuration n'a servi ä rien. Diese "Renazifizierung" sei durch die
Mitläuferamnestien ausgelöst worden. Weder in Baden-Baden noch in Koblenz habe
die Militärregierung auf die massive Rückkehr der ehemaligen Pgs in die öffentliche
Verwaltung angemessen reagiert. Die deutschen Parteien hätten diese Entwicklung
begünstigt. Sie würden, par pure demagogie, sans souci de l'avenir politique de
l'Allemagne, um die Stimmen der ehemaligen Pgs buhlen. Die deutsche Bevölkerung
wolle nichts mehr von dem verbrecherischen Charakter des NS-Regimes wissen.
Auch einige Offiziere der Militärregierung hätten Schuld an diesem Zustand. In der
deutschen Bevölkerung sei der Spruch: Chaque nazi a son Frangais, chaque frangais
a son nazi sehr populär 1 . Als Resümee stellte Julitte im Oktober 1950 fest:
En ce qui concerne notre action en Allemagne, action base avant tout sur une
denazißcation ejficace, condition primordiale pour etablir les bases d'une veri-
table democratie, nous pouvons avec sincerite faire ä la veille de notre depart le
bilan de la catastrophe 2
Auch Charles Schiehle, zuvor Chef des Service Epuration in Baden-Baden unter Ge
neral Koenig und seit Anfang 1950 in der politischen Abteilung des Hohen Kommis
sariats in Bonn tätig, beklagte im September 1950 das Ausmaß der
"Renazifizierung", das zu dem allgemeinen Eindruck des völligen Scheitems der al
liierten Entnazifizierungspolitik in Deutschland beigetragen habe. Die Militärregie
rung habe sich damals eine Aufgabe vorgenommen, die die vorhandenen Kräfte
überstiegen habe. Die Entnazifizierung in der französischen Zone habe es aber er
möglicht, die NS-Aktivisten von den Schaltstellen der Macht zu verdrängen - ein
Ausschluß aller ehemaligen Pgs aus dem Öffentlichen Leben sei weder geplant noch
durchführbar gewesen. Zwar habe die NS-Ideologie nicht restlos aus den Köpfen der
Deutschen beseitigt werden können; die Wahlergebnisse würden aber zeigen, daß
neonazistische Bewegungen keinen Widerhall in der Bevölkerung fänden - dies sei
nicht zuletzt ein Verdienst der Entnazifizierung. Schiehle mahnte trotzdem zu er
höhter Aufmerksamkeit:
Des vestiges de l'ideologie nazie subsistent donc tel un feu presque eteint qui
couve sous la cendre. Pour le moment, l'hitlerisme est deconsidere ... II ne serait
pas impossible, pourtant, que dans certaines circonstances, et notamment si
l'evolution de la Situation internationale ou des affaires interieures de
1 GMRP/District Treves: "Rapport mensuel", 2.3. u. 1.5.1949, 3.10.1950; AOFAA RPc.3181 p.8 d.39.
2 Ebd.