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Verlauf der Nachkriegsjahre wuchsen die deutschen Kompetenzen, wenngleich we
sentlich langsamer als in der Bizone 41 und im wesentlichen in umgekehrter Funktion
des Ausmaßes, in dem die jeweiligen ökonomischen Sektoren die Interessen der
Besatzungsmacht berührten. Besonders weitgehend bezog die französische Militär
regierung Teilbereiche in das Bewirtschaftungssystem ein, welche - wie die Ernäh
rung - für die Verwaltung der Zone lebenswichtig waren oder ihr einen Zugriff auf
die für Frankreich ökonomisch relevanten Sparten ermöglichten. Die typischen
Koordinationsprobleme solcher Teil-Zentralverwaltungswirtschaften wurden in der
französischen Zone noch durch das Neben- und Gegeneinander nicht nur der ver
schiedenen Sektoren mit ihren jeweils eigenen Prioritäten, sondern auch der drei
verschiedenen Verwaltungen: der deutschen, der französischen Zivil- und der fran
zösischen Armee-Verwaltung, verstärkt. In „vertikaler“ Struktur entwickelte sich
eine aufgelockerte Zentralverwaltungswirtschaft, indem auch in zentralgeleiteten
Sektoren allmählich liberale Elemente zur Geltung kamen. 43 44 So wurden Marktme
chanismen insofern zumindest theoretisch berücksichtigt, als die Herstellerkontin
gentierung allmählich durch eine Endverbraucherkontingentierung abgelöst wurde;
mit Hilfe durchlaufender Bezugsscheine wurde die Rohstoffzuweisung nach dem
nachgewiesenen Absatz der Fertigprodukte einer Firma vorgenommen. Wenngleich
mit Verzögerung - und in der Praxis mit oft unüberwindlichen Schwierigkeiten so
sollte die tatsächliche Nachfrage auf diese Weise im Bewirtschaftungssystem doch
berücksichtigt werden. In allen kriegführenden Ländern sind solche Auflockerungs
formen während des Übergangs von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft in unter
schiedlicher Weise praktiziert worden. In Deutschland entwickelten sie jedoch stär
kere politische Nebenwirkungen als in den siegreichen Ländern. Denn unter der
Besatzungsherrschaft verwoben sich die - nach neoliberaler Auffassung unaus
weichlichen - ökonomischen Steuerungsprobleme mit den politischen Kontroversen
zwischen Besatzungsmacht und unterworfener Bevölkerung.
War die Bewirtschaftungspolitik bis 1945 noch als kriegsnotwendig im wesentlichen
akzeptiert worden und sahen die Alliierten in ihrer Fortsetzung zunächst die einzige
Möglichkeit der Wirtschaftsverwaltung im Chaos des Zusammenbruchs, so wurde
sie für die deutsche Seite, vor allem in der französischen Zone, nun rasch zum
Inbegriff von Ausbeutung, Schikane und „Morgenthau-Politik“. Als solche erscheint
sie nach wie vor auch weithin in der Literatur, die damit auch dort, wo sie sich von
neoliberalen Analysen dezidiert absetzt, Teile dieser Analysen implizit bestätigt:
1945 wurde der Zusammenhang zwischen politischem System und Wirtschaftspoli
tik, wie ihn Röpke und andere für das „III. Reich“ dargestellt hatten, gewissermaßen
in deutscher Perspektive wirksam, jetzt allerdings weniger gegen das „III. Reich“ als
gegenwartsbezogen gegen die Besatzungsmächte gerichtet. In der Tat ist die Tren
nungslinie zwischen Verteilung des Mangels einerseits und Wirtschaftslenkung im
43 Vgl. Henke, Politik der Widersprüche, S. 71, u. Läufer, Industrie, S. 84 f. Henkes und
Läufers auf September 1948 bezogener Vergleich belegt allerdings mehr das unterschiedliche
Tempo der ordnungspolitischen Liberalisierung als grundsätzliche Unterschiede zwischen
den Alliierten, die in der Frühzeit der Besetzung weit weniger groß waren.
44 Auch in der Bizone erfolgte diese Lockerung nur langsam, so für die Eisenbewirtschaftung
Mitte 1947; vgl. Adolf Weber, Deutsches Wirtschaftsleben, S. 101.