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System. 27 Ihretwegen müsse der Produzent sich jedoch die aus Prioritäts- oder ande
ren Gründen nicht gelieferten Rohstoffe und Zwischenprodukte auf halb- oder
illegalem Wege beschaffen, wolle erden Betrieb nicht ganz einstellen; 28 die Entwick
lung paralleler Produktions- und Absatzformen werde zur Überlebensfrage für die
gewerbliche Wirtschaft, und Prioritätssysteme trügen zur Desorganisation anderer
Wirtschaftssektoren nur weiter bei.
Wesentliche Kritikpunkte wurden selbst von solchen Beamten der Wirtschaftsver
waltung, die das System als grundsätzlich richtig erachteten, bestätigt, allerdings
nicht auf das System als solches, sondern im wesentlichen auf organisatorische
Unzulänglichkeiten zurückgeführt. 29 Einer Quantifizierung der verschiedenen Erklä
rungsmodelle stehen erhebliche methodische Schwierigkeiten entgegen. 30 Unabhän
gig von dem genauen Ausmaß, das dem Bewirtschaftungssystem in seiner Wirkung
als Produktionshemmnis beizumessen ist, entspricht die theoretische neoliberale
Analyse allerdings in wesentlichen Punkten der nach 1945 in der politischen Diskus
sion an der Besatzungsmacht geübten Kritik.
Neben Außenhandelspolitik und Zentralverwaltungswirtschaft trug ein drittes Kern
element der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik zur sozialen Not in der Nach
kriegszeit entscheidend bei: Die seit 1933 eingeleitete Umlenkung der wirtschaftli
chen Produktivität von der Konsumgüter- auf die Rüstungsindustrie im weite
sten Sinne, 31 die wesentlich für den zunehmenden Nachfragestau verantwortlich
war. Je größer Kaufkraftüberhang und Konsumdefizit wurden, desto weniger wurde
die Nachfrage von der Güterseite her befriedigt - grundlegende Bedingung für die
Bildung paralleler Märkte, wie sie sich mit dem Zusammenbruch entwickelten.
2 Eucken, On the Theory. Der Aufsatz ging ein in: ders., Grundsätze, S. 61 ff. In der Taschen
buchausgabe (Reinbek 1959 u. ö., S. 60 ff.) sind vor allem die Erläuterungen, welche genauer
auf das Beispiel des „III. Reiches“ eingehen, gekürzt. Vgl. auch ders., Deutschland, und
unten S. 53 f.
Zu den Folgen der Wirtschaftslenkung für die Produktion s. aus Sicht des Betriebswirtschaft
lers z. B. Hasenack, Betriebsraubbau, bes. S. 6 ff., 35 ff., 72.
Vgl. dazu die umfassende Darstellung des Bewirtschaftungssystem, in Auseinandersetzung
mit seinen Kritikern, bei Walter Huppert, Wirtschaftslenkung. Huppert war als Referent für
volkswirtschaftliche und wirtschaftspolitische Grundsatzfragen 1943/45 im Planungsamt
des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion und 1948/50 in der Verwaltung
für Wirtschaft der Bizone tätig; an seinem Beispiel zeigt sich auch die Kontinuität im
deutschen Bewirtschaftungssystem vor und nach 1945. Schwächen des deutschen Systems
faßt Huppert nur in Art eines Anhanges auf S. 207-211 zusammen; vgl. unten S. 69 Anm. 96.
Mit Recht weist z. B. v. Mühlenfels, Vergleich von Wirtschaftsordnungen, darauf hin, daß
nicht die Grenzfälle der „freien“ und der „zentralgeplanten“ Wirtschaft, sondern allein die
Zwischenstufen praktisch bedeutsam seien, und er betont die Schwierigkeit einer präzisen
Erfassung der zahlreichen subjektiven und irrationalen Faktoren in verschiedenen Wirt
schaftsordnungen. In gleiche Richtung wie Eucken, wenngleich nicht so detailliert ausge
führt, zielt u. a. Bresciani-Turroni, Einführung, S. 153 ff., bes. S. 161 ff., z. T. unter Rück
griff auf weitere während des „III. Reiches“ geäußerte deutsche Kritik. Auf die Problematik
einer quantifizierenden Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Systems verweist u. a.
Giersch, Allgemeine Wirtschaftspolitik, Bd. 1, S. 176 ff.
Fast die gesamte Literatur zur Wirtschaftspolitik des „III. Reiches“ geht auf diese Problema
tik ein; vgl. oben Anm. 5.