Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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Frühzeit gelegentlich irreführend. Die Zulassung stand am Ende, nicht am Anfang 
der entsprechenden organisatorischen Entwicklungen. Längst bevor die Gewerk 
schaften offiziell existierten, wurden sie — etwa im Französisch-Deutschen Rat in 
den Regierungsbezirken Trier und Koblenz — als deutsche Repräsentanten von 
französischer Seite offiziell konsultiert und übernahmen damit de facto teilweise die 
Funktionen der sich langsamer reorganisierenden Parteien. Im weiteren Verlauf der 
Besatzungszeit verfolgten die zuständigen Stellen der Militärregierung nicht nur 
genau die Reaktionen der Gewerkschaften, sondern deren Stellungnahmen konnten 
in manchen Situationen auch ein größeres Gewicht erhalten als beispielsweise Posi 
tionen von Parteien. Die Einwirkungsmöglichkeiten der Gewerkschaften auf die 
praktische Politik gingen weiter, als sich allein mit einer auf den Einsatz der Gewerk 
schaften als sozialem Ordnungsfaktor fixierten Politik erklären ließe. Hier kam 
wiederum das Bestreben von Teilen des Besatzungsapparates zur Wirkung, als „de 
mokratisch“ beurteilte Entwicklungen über eine Stärkung der durch das „III. Reich“ 
am wenigsten kompromittiert erscheinenden Kräfte auch langfristig zu fördern und 
zugleich die Arbeiterschaft für eine Zusammenarbeit mit der Militärregierung zu 
gewinnen. 
Während für den von Gewerkschaftlern geführten Verband der Ortskrankenkassen 
in der französischen Zone ähnlich starke Einwirkungsmöglichkeiten galten, war die 
Situation für die Kriegsopferverbände eine andere. Vereinfacht formuliert, för 
derte die Militärregierung die Versorgung der Kriegsopfer. Sie war gegenüber ihren 
Verbänden, welche deutschen Militarismus zu verkörpern schienen, jedoch außeror 
dentlich mißtrauisch und kontrollierte deren Aufbau scharf, wenngleich in Rhein 
land-Pfalz eine restriktivere Linie verfolgt wurde als in Baden. Dennoch erhielten 
auch diese Verbände in der praktischen Politik einen wesentlich größeren Einfluß, 
als dies zur gleichen Zeit in den Ländern der Bizone der Fall war. 
6. Die Neuordnungsansätze in der Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung 
sind in einem breiteren Kontext zu sehen, der über die klassische Sozialpolitik 
hinausweist, bislang aber erst unzureichend erforscht ist. Die Tendenzen, die sich in 
solchen weiteren Bereichen abzeichnen, bestätigen, daß es sich bei den in dieser 
Arbeit untersuchten Gegenständen nicht um isolierte Befunde handelt, sondern um 
grundsätzlich relevante Ergebnisse. So sind in der französischen Zone Mitbestim 
mungsregelungen entworfen worden, die zwar nicht so weit gingen, wie die 
Gewerkschaften dies forderten, 3 doch im Vergleich zu den später in der Bundesrepu 
blik ausgearbeiteten Mitbestimmungsgesetzen für die Arbeitnehmer günstiger wa 
ren. Mit der Hauptwirtschaftskammer sind in Rheinland-Pfalz dabei zeitweise auch 
Ansätze zu einer überbetrieblichen Mitbestimmung verwirklicht worden. 4 In Baden 
scheiterte die Realisierung der überbetrieblichen Mitbestimmung nicht auf Zonen 
ebene, sondern an amerikanischem Druck auf die französische Militärregierung. 5 
1 Vgl. dazu ebd. 
* Protokolle der Hauptwirtschaftskammer in LTA RLP. 
5 Vgl. Protokoll der Konferenz Koenigs mit den Ministerpräsidenten der französischen Zone 
am 28. 11. 1948; StA SIG Wü 2/9.
	        
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