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Frühzeit gelegentlich irreführend. Die Zulassung stand am Ende, nicht am Anfang
der entsprechenden organisatorischen Entwicklungen. Längst bevor die Gewerk
schaften offiziell existierten, wurden sie — etwa im Französisch-Deutschen Rat in
den Regierungsbezirken Trier und Koblenz — als deutsche Repräsentanten von
französischer Seite offiziell konsultiert und übernahmen damit de facto teilweise die
Funktionen der sich langsamer reorganisierenden Parteien. Im weiteren Verlauf der
Besatzungszeit verfolgten die zuständigen Stellen der Militärregierung nicht nur
genau die Reaktionen der Gewerkschaften, sondern deren Stellungnahmen konnten
in manchen Situationen auch ein größeres Gewicht erhalten als beispielsweise Posi
tionen von Parteien. Die Einwirkungsmöglichkeiten der Gewerkschaften auf die
praktische Politik gingen weiter, als sich allein mit einer auf den Einsatz der Gewerk
schaften als sozialem Ordnungsfaktor fixierten Politik erklären ließe. Hier kam
wiederum das Bestreben von Teilen des Besatzungsapparates zur Wirkung, als „de
mokratisch“ beurteilte Entwicklungen über eine Stärkung der durch das „III. Reich“
am wenigsten kompromittiert erscheinenden Kräfte auch langfristig zu fördern und
zugleich die Arbeiterschaft für eine Zusammenarbeit mit der Militärregierung zu
gewinnen.
Während für den von Gewerkschaftlern geführten Verband der Ortskrankenkassen
in der französischen Zone ähnlich starke Einwirkungsmöglichkeiten galten, war die
Situation für die Kriegsopferverbände eine andere. Vereinfacht formuliert, för
derte die Militärregierung die Versorgung der Kriegsopfer. Sie war gegenüber ihren
Verbänden, welche deutschen Militarismus zu verkörpern schienen, jedoch außeror
dentlich mißtrauisch und kontrollierte deren Aufbau scharf, wenngleich in Rhein
land-Pfalz eine restriktivere Linie verfolgt wurde als in Baden. Dennoch erhielten
auch diese Verbände in der praktischen Politik einen wesentlich größeren Einfluß,
als dies zur gleichen Zeit in den Ländern der Bizone der Fall war.
6. Die Neuordnungsansätze in der Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung
sind in einem breiteren Kontext zu sehen, der über die klassische Sozialpolitik
hinausweist, bislang aber erst unzureichend erforscht ist. Die Tendenzen, die sich in
solchen weiteren Bereichen abzeichnen, bestätigen, daß es sich bei den in dieser
Arbeit untersuchten Gegenständen nicht um isolierte Befunde handelt, sondern um
grundsätzlich relevante Ergebnisse. So sind in der französischen Zone Mitbestim
mungsregelungen entworfen worden, die zwar nicht so weit gingen, wie die
Gewerkschaften dies forderten, 3 doch im Vergleich zu den später in der Bundesrepu
blik ausgearbeiteten Mitbestimmungsgesetzen für die Arbeitnehmer günstiger wa
ren. Mit der Hauptwirtschaftskammer sind in Rheinland-Pfalz dabei zeitweise auch
Ansätze zu einer überbetrieblichen Mitbestimmung verwirklicht worden. 4 In Baden
scheiterte die Realisierung der überbetrieblichen Mitbestimmung nicht auf Zonen
ebene, sondern an amerikanischem Druck auf die französische Militärregierung. 5
1 Vgl. dazu ebd.
* Protokolle der Hauptwirtschaftskammer in LTA RLP.
5 Vgl. Protokoll der Konferenz Koenigs mit den Ministerpräsidenten der französischen Zone
am 28. 11. 1948; StA SIG Wü 2/9.