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die 1933 eingeleitete Entpolitisierung der sozialen Selbstverwaltung sich in der Bun
desrepublik nach 1949 fortsetzte. Ob die auch durch die Kostenexplosion im Ge
sundheitswesen motivierte wissenschaftliche Debatte um eine Wiederbelebung der
sozialen Selbstverwaltung, wie sie in den letzten Jahren geführt wird, zu einer sol
chen Reaktivierung führen wird, gehört zu den noch nicht zu beurteilenden langfri
stigen Perspektiven der frühen Nachkriegspolitik. Ihre Aktualität hat die Thematik
ebenso wie im Solidarausgleich der gegliederten Krankenversicherung gewahrt.
4. In vielfacher Hinsicht ergeben sich in der Kriegsopferversorgung im Südwe
sten nach 1945 andere Gesichtspunkte als in der Sozialversicherung. Gleich war die
Tendenz besonderen Schutzes für sozial schwache Bevölkerungsgruppen. Während
eine eigenständige Kriegsopferversorgung in den anderen Zonen abgeschafft, die
Versorgungsverwaltung weitgehend aufgelöst und das Versorgungssystem auf nied
rigstem Niveau dem der Unfallversicherung angeglichen wurde, blieben die seit
1918/20 entwickelten deutschen Traditionen der Kriegsopferversorgung im Südwe
sten weitgehend erhalten, bei regionalen Unterbrechungen und bei Ansätzen zur
Neuordnung in einzelnen Bereichen. Während die Sozialversicherungspolitik in der
französischen Zone direkt von innerfranzösischen Reformmaßnahmen beeinflußt
war, wirkte sich die französische Innenpolitik in der Kriegsopferfrage anders aus:
Die starke gesellschaftliche Stellung, welche Kriegsopfer in Frankreich traditionel
lerweise einnehmen, trug in der französischen Zone dazu bei, daß insgesamt ein
erheblich höheres Versorgungsniveau als in allen anderen Zonen erreicht, auf eine
direkte Übertragung französischer Institutionen jedoch verzichtet wurde. Während
die Sozialversicherung zentral gestaltet wurde, ließ die Militärregierung in der
Kriegsopferversorgung regional sehr unterschiedliche Regelungen zu bis hin zur
Situation in Baden, wo das hohe Versorgungsniveau der Kriegszeit in seinen wesent
lichen Bestandteilen als einzigem Land des ehemaligen Reiches weitergalt und erst
allmählich in einigen Teilen entmilitarisiert und entnazifiziert wurde.
Das Versorgungsniveau lag hier so hoch, daß die deutsche Verwaltung auf eine
geplante und von den Verbänden geforderte Neuregelung verzichtete, um die Lei
stungen nicht denen der britischen und amerikanischen Zone angleichen zu müssen.
In Württemberg-Hohenzollern wirkte sich die seit 1945 verfolgte enge Bindung an
die amerikanische Zone insofern negativ aus, als damit — wenngleich in zeitlicher
Verzögerung — auch deren niedriges Versorgungsniveau auf Südwürttemberg Über
griff. Zwar setzte der Bebenhausener Landtag im Vergleich zur US-Zone 1949 we
sentliche Verbesserungen durch und versuchte insbesondere Elemente einer Bin
dung der Kriegsopferrenten an Durchschnittssätze anderer Sozialdaten in sein Ver
sorgungssystem einzubringen — ein vorausweisendes Element, mit dem die Würt-
temberger in der Nachkriegszeit allein dastanden; im Vergleich der französischen
Zone lag das Versorgungsniveau hier jedoch am niedrigsten. In Rheinland-Pfalz
beruhte das Versorgungssystem zunächst auf einer schon 1945 auf Initiative der
Militärregierung in Hessen-Pfalz als erstem Land der Westzonen eingeführten Neu
regelung, welche 1947 auf das ganze Land ausgedehnt wurde. Die Einzelheiten der
Ausarbeitung des neuen rheinland-pfälzischen Versorgungsgesetzes verwoben sich
sowohl mit unklaren Planungsvorgaben und Entscheidungen in der deutschen Ver
waltung wie mit den nach der Währungsreform überall aufbrechenden Finanz-