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Einbußen hinzunehmen hatten, gipfelten Wohiebs öffentliche Äußerungen Anfang
1951 in einer Rede in Schluchsee in dem später viel zitierten Satz: Ein Volk, das nicht
alles tut, was es kann, für die Opfer des Krieges und für alle diejenigen, die bedrängt
sind, zu sorgen, ist nicht wert, daß es existiert. 54
In der Auseinandersetzung um den Südweststaat war die Kriegsopferfrage damit zu
einem Trumpf in der Hand des badischen Staatspräsidenten geworden, der darauf
verweisen konnte, daß Baden als eigenständiger Staat mehr geleistet hatte als sämtli
che anderen Länder und auch mehr, als das große Gemeinwesen Bundesrepublik
Zusagen konnte. Die Militärregierung verfolgte Wohiebs politische Agitation in
dieser Frage aufmerksam und folgerte schon Mitte 1950, daß seine altbadische
Politik in dieser Kategorie der Bevölkerung eine der sichersten Stützen bei den bevorste
henden Abstimmungen finden werde; 55 die Rede in Schluchsee wertete sie als großen
politischen Erfolg für Wohiebs Sache. 56 Hier wurde gewissermaßen nachträglich ein
weiteres Motiv für die französische Kriegsopferpolitik in Baden deutlich, das zwar
seit der Frühzeit mitgespielt hatte, so klar in den Akten jedoch nicht formuliert
worden war: Die Stärkung der Position Wohiebs, um auf diese Weise den altbadi
schen Zielen im Kampf um den Südweststaat weiteren Rückhalt zu verleihen.
Die Rolle der Kriegsopferfrage bei der Abstimmung über den Südweststaat ist
natürlich nicht zu quantifizieren. Am 31. März 1950 erhielt etwa jeder zehnte Ein
wohner Badens eine Kriegsopferrente; unter diese Zahl fielen nicht die etwa 9 700
Leichtbeschädigten unter 30%, die nur Heilfürsorge erhielten, und nicht die Angehö
rigen der über 47 000 männlichen Beschädigten. Rechnet man für diese durch
schnittlich zwei Familienangehörige hinzu - was im Hinblick auf die in Baden
besonders häufige Elternversorgung eher zu niedrig gegriffen sein dürfte so reicht
der Anteil der direkt Betroffenen mit rund 235 000 bald an ein Fünftel der Bevölke
rung. Die öffentlichen Demonstrationen, welche das Bundesversorgungsgesetz in
Baden hervorrief, 57 erwiesen die Massenwirksamkeit dieses Problems. Daß die große
Mehrheit, welche die Altbadener in Südbaden bei den Volksabstimmungen vom
24. September 1950 (in Südbaden rund 317 000 gegen 215 000 Stimmen) 58 und vom
9. Dezember 1951 (62,2% gegen 37,8 %) 5 ’ erzielten, von der lebhaften Agitation um
die Kriegsopferfrage mit beeinflußt worden ist, erscheint daher wahrscheinlich.
Das Land Baden nahm unter allen deutschen Ländern in der Kriegsopferversorgung
der Nachkriegsjahre eine Sonderstellung ein. Die deutsche und die französische
Verwaltung hielten sich hier, trotz entsprechender Ansätze seitens der Militärregie
rung, weniger als in den anderen Teilen der Zone an die Richtlinien, die der Kon
Landeskonferenz des VdK Baden in Schluchsee, 28. 1. 1951; Rede Wohiebs abgedruckt in:
Der Kamerad 4 (1951) Nr. 2/3, S. 4, später u. a. zitiert in: Festschrift zur 25jährigen Jubi
läumsfeier, S. 6, und Solidarität - Weg in die Zukunft, S. 22.
Vermerk von Andrez über den Jahresbericht 1949/50 des Kriegsversehrtenfürsorgeamtes,
7.6. 1950; AdO Colmar Bade 2413/1.
Vermerk von Arbeitsoffizier Rolland, 29. 1. 1951; ebd.
Vgl. die Berichte im Organ des VdK, Der Kamerad.
Genaue Zahlen bei Konstanzer, Entstehung, S. 210.
” Sauer, Enstehung, S. 161.