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der Arbeitsverwaltung und der bereits im Herbst 1945 mit Unterstützung der Militär
regierung errichteten Betreuungsstelle für Hirn- und Rückenmarkverletzte in der
Psychiatrie der Freiburger Universität. 38 Neuaufbau mußte unter anderem deshalb
geleistet werden, weil die entsprechenden Wehrmachtsbetreuungssteilen in den letz
ten Kriegsmonaten weiter nach Osten verlegt worden waren und diese Infrastruktu
ren in Baden 1945 nicht mehr zur Verfügung standen. Arbeitsverwaltung und Medi
ziner entwickelten für die fast 2 600 registrierten Hirnverletzten des Landes ein
Rehabilitations- und Reintegrationsprogramm, das detailliert auf die jeweilige per
sönlich-familiäre und berufliche Situation zugeschnitten war. Besonders unter der
Landbevölkerung, aus der der relativ größte Teil der Verletzten kam (475 Patienten),
erwies die dabei geleistete Aufklärungsarbeit in der sozialen Umgebung sich als sehr
effizient. In Landbetrieben war der Einsatz solcher Versehrter allerdings auch leich
ter zu bewerkstelligen als in der Industrie (357 Patienten) und bei den kaufmänni
schen Angestellten (332 Patienten). Vor allem für ehemalige Hilfsarbeiter, deren
Leistungsfähigkeit durch die Verletzung noch weiter reduziert war, fanden sich nur
noch schwer Beschäftigungen. Die besondere Reizbarkeit von Hirnverletzten und
der häufige Arbeitsausfall veranlaßten manche Arbeitgeber, lieber die Ablösungs
summen zu zahlen als solche Mitarbeiter, die auch hohe Anforderungen an ihre
Umgebung stellten, einzustellen. Leichter war die Situation für Beamte (127 Patien
ten) und Angestellte im öffentlichen Dienst, die auf anderen Stellen weiterverwendet
werden konnten, sowie für Handwerker (408 Patienten), denen sich besonders viele
Umschulungsmöglichkeiten boten und deren Arbeit im Wiederaufbau gesucht war.
Am schwierigsten waren die Akademiker (43 Lehrer, Pfarrer, Juristen und Ärzte)
sozial zu reintegrieren, da sie ihre Situation in der Regel psychisch besonders schwer
verkrafteten, zu verbergen suchten und infolgedessen zur Überforderung ihrer Kräf
te neigten; allerdings hatten sie geringere finanzielle Sorgen, soweit sie beamtet
waren. Beobachten ließen sich in Baden schließlich die vielfältigen persönlichen
Folgen. So verlagerte sich die bestimmende Rolle in der Familie in der Regel auf die
Ehefrauen, auf die zu den allgemeinen Nachkriegssorgen eine Fülle zusätzlicher,
auch die Kindererziehung tangierender Probleme zukam. Soweit Ehescheidungen
die Folge waren, waren sie allerdings meist nicht allein auf die Verletzungen als
solche zurückzuführen, sondern auch darauf, daß die betroffenen Ehen vor der
Verletzung erst kurze Zeit bestanden hatten; ältere Ehen überstanden auch diese
Belastung relativ wesentlich besser. Die besonders intensive badische Kriegsopfer
betreuung erlaubt es damit, auch die soziale Differenzierung der Verletzungsfolgen
wenigstens umrißhaft zu erfassen.
Parallel zu dem Versuch, das überkommene Versorgungsrecht zu „entnazifizieren“
und zu „entmilitarisieren“, liefen jedoch auch in Baden Planungen für eine
Gesamtreform an. Anfang 1947 schien das Kriegsopferproblem in der praktizier
ten Form nicht mehr zu bewältigen zu sein. Die Verwaltung stöhnte unter der Fülle
von Bestimmungen, die sie zu beachten hatte, und die Akten der Staatskanzlei füllten
sich mit bitteren Beschwerden von Betroffenen, deren Fälle nicht bearbeitet wurden *
S. hierzu detailliert: Jantz, Aufbau einer Betreuungsstelle.