Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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halte zum Zuge. In Frankreich spielten die Kriegsopfer und ihre Verbände seit 1918 
eine bedeutende, eigenständige innenpolitische Rolle und genossen hohes gesell 
schaftliches Ansehen. Schon aufgrund dieses innenpolitischen Hintergrundes be 
stand bei der französischen Militärregierung ein anderes Problembewußtsein für die 
Kriegsopferfrage als bei den anderen Alliierten. In ihrem Verständnis für die Proble 
matik geriet die Besatzungsmacht jedoch in einen doppelten Konflikt: einerseits mit 
der wirtschaftspolitisch vorgegebenen Zielsetzung, die sozialpolitischen Kosten ge 
ring zu halten, und andererseits mit dem Ziel der Vernichtung des deutschen Milita 
rismus, unter dessen Zeichen der Kontrollrat auch die Kriegsopferverbände einge 
ordnet hatte. Im Endergebnis ergab sich in der französischen Zone dennoch eine 
Bilanz, die insgesamt nicht nur den anderen Zonen, sondern in Teilbereichen auch 
dem Bundesversorgungsgesetz von 1950 überlegen war. Die komplizierte Entwick 
lung der Kriegsopferfrage in der französischen Zone erlaubt es damit, wieder andere 
Facetten der französischen Besatzungspolitik und des Zusammen- oder Gegeneinan 
derwirkens deutscher und französischer Verwaltungen zu verfolgen, aber auch in 
eines der Gebiete vorzustoßen, in denen Interessenverbände außerhalb von Gewerk 
schaften und Arbeitgeberverbänden bereits vor 1948 ein erhebliches Gewicht erhiel 
ten. 
Daß sich neben der Nutzungspolitik in der französischen Zone auch konstruktive 
Neuordnungsansätze entwickeln konnten, hatte nicht nur konzeptionelle Gründe, 
wie sie im folgenden an Teilbereichen untersucht werden. Auch die Struktur der 
französischen Politik und der Militäradministration schuf dafür Rahmenbedin 
gungen — Bedingungen, in denen gelegentlich auch die Ambivalenz der skizzierten 
wirtschaftlichen Nutzungsinteressen deutlich wird. Auf manche Konstellationen 
wird im Zusammenhang mit der Sachdarstellung ausführlicher einzugehen sein. 
Einige Elemente, die für das Verständnis der Gesamtentwicklung wesentlich sind, 
seien hier jedoch einleitend zusammengefaßt. 
In der Besetzungsphase bis Sommer 1945 hatte, in Anlehnung an die Organisation 
der amerikanischen Truppen, eine eigene Einheit, das 5 e Bureau der I. französischen 
Armee, die Aufgaben der zivilen Militäradministration zu übernehmen. 8 * Die Akten 
dieser G 5-Abteilung geben allein schon in ihrer Unordnung ein lebendiges Bild von 
den provisorischen Zuständen, in denen die französische Militärverwaltung ihre 
Arbeit begann. 85 86 In der Praxis war bereits hier ein Streit programmiert, der die 
gesamte Besatzungszeit durchziehen und zahlreiche Widersprüche der französischen 
Besatzungspolitik erklären sollte: Der Kampf zwischen Zivilverwaltung und Armee 
innerhalb der Militärregierung. Im Sommer 1945 wurde der Streit offiziell zuungun 
sten der Militärs entschieden; die Zivilverwaltung wurde von militärischen Befehlen 
unabhängig, und mit Emile Laffon kam aus dem Innenministerium in Paris ein 
eigener Chef der Zivilverwaltung nach Baden-Baden. 87 Tatsächlich beeinträchtigte 
85 Zur Geschichte der Militäradministration 1945/46 siehe Willis, The French, S. 67 ff., und 
Henke, Aspekte. 
84 AdO Colmar CGAAA C. 2669. 
87 Henke, Aspekte, bes. S. 180 ff. Zu den Konflikten siehe auch zahlreiche Berichte von 
Zeitgenossen, u. a. Michel Tournier, Jean Forez und Jacques Madaule.
	        
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