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3. Wiederaufbau der Kriegsopferverbände in Westdeutschland
1945-1955
Die Grundentscheidungen der Besatzungsmächte sowie der innerdeutsche politi
sche und soziale Kontext in den ersten Nachkriegsjahren haben die Struktur der
bundesdeutschen Kriegsopferverbände bis heute grundlegend geprägt. Vier Verbän
de, die sich in der Besatzungszeit durchgesetzt haben, bilden mit leicht veränderten
Namen bis heute unter den zahlreichen inzwischen entstandenen kleineren Verbän
den die politisch und sozial einflußreichsten Organisationen: der Verband der
Kriegsbeschädigten (VdK), der Reichsbund, der Bund der Kriegsblinden und der
Bund deutscher Hirnbeschädigter. Diese großen Verbände haben ihre organisatori
sche Struktur im wesentlichen so beibehalten, wie sie in der Zeit vor der Gründung
der Bundesrepublik gewachsen ist. Mit Ausnahme des Kriegsblindenbundes sind sie
sogenannte „Mischverbände“ geblieben, d. h. sie umfassen, entsprechend einer Auf
lage der alliierten Militärregierungen 1945/46, nach wie vor sowohl Kriegsopfer wie
zivile Behinderte, wenngleich die Kriegsopfer eine Vorrangstellung in ihnen einneh
men. Schließlich haben die beiden größten Verbände, der VdK im Süden und der
Reichsbund im Norden, ihre aus der Besatzungszeit herrührenden regionalen
Schwerpunkte behalten.
a) Rahmenbedingungen und langfristige Strukturwirkungen der Verbandsbildung
1945-1950
Der politische und soziale Kontext der Verbandsbildung war 1945 sowohl von
alliierten Entscheidungen wie von der innerdeutschen Situation geprägt.' Im
Zuge von Entmilitarisierung und Entnazifizierung verboten die Alliierten 1945 zu
nächst alle Parteiorganisationen und der NSDAP angegliederten Organisationen. 2
Dazu gehörte auch die Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung (NSKOV),
eine der NSDAP angeschlossene Organisation, in der 1933 die Kriegsopferverbände
der Weimarer Republik gleichgeschaltet worden waren, über die bisher aber wenig
bekannt ist. 3 Alle Amtsträger bis zum Reichsabteilungsleiter der NSKOV fielen unter
die Entnazifizierungsbestimmungen der Kontrollratsdirektive Nr. 38, und das Ver
mögen der Organisation kam unter Sequesterverwaltung nach SHAEF-Gesetz Nr.
52. Auch die Neugründung von Kriegsopferverbänden war jedoch grundsätzlich
untersagt - auf Ausnahmen wird zurückzukommen sein -, da die Kriegsopfer von
alliierter Seite zunächst mit Kriegsteilnehmern allgemein und ihre Verbände mit
Soldatenverbänden gleichgesetzt wurden. Einerseits wurden damit die Kriegsopfer
des I. Weltkrieges, soweit sie 1933 zwangsweise in die NSKOV überführt worden
Die folgende zusammenfassende Darstellung der strukturellen Entwicklungsmerkmale
beruht auf der Gesamtheit der Dokumentation zur Geschichte der einzelnen Verbände,
die unten S. 413 ff. genauer nachgewiesen wird.
Vgl. oben S. 401 mit Anm. 5-6 und S. 406 mit Anm. 21.
Einen Aufsatz zur NSKOV hat Diehl (Change, S. 173) angekündigt.