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begründet, daß Offiziere ähnlich wie Beamte in ihrem Hauptberuf standen und
danach zu versorgen waren, während Mannschaften in der Regel nach der Dienstzeit
in einen anderen Beruf überwechselten. Im Vergleich zu Arbeitern ergab sich daraus
auch für Mannschaften ein relativ gutes Versorgungsniveau. 11 Doch führte das Sy
stem im Krieg zu zahlreichen Ungerechtigkeiten sogar im Kriterienrahmen der alten
Versorgung, wenn etwa bislang nicht dienstpflichtige Zivilisten in vorgerücktem
Alter eingezogen und dann verwundet wurden, nach altem Recht bei ihren in der
Regel schlechten Beförderungschancen aber einen Versorgungsanspruch hatten, der
oft in keinem Verhältnis zu ihrer vorherigen zivilen Stellung stand. Umgekehrt
erhielten Versehrte im gleichen Beruf nach diesem System ganz unterschiedliche
Versorgung. Auch die Kriegstechnik selbst hatte das alte System überholt; so sah es
eine Verstümmelungszulage vor, die aber nicht für innere Verletzungen, etwa im
Gaskrieg, gezahlt wurde. Schließlich hatte die Geldentwertung allgemein zur Sen
kung des faktischen Leistungsniveaus beigetragen. Während des Krieges hatten
Reichsregierung und Reichstag im Rahmen des Fürsorgesystems die Härten teilwei
se dadurch ausgeglichen, daß große Mittel für Zusatzleistungen zur Verfügung ge
stellt wurden. Doch konnte dies eine umfassende Neugestaltung nicht ersetzen.
Sie kam im Reichsversorgungsgesetz vom 12. Mai 1920 (RVG). 12 Das Gesetz hob
sowohl die Orientierung der Versorgung am militärischen Dienstgrad wie die Unter
scheidung von Kriegs- und Friedensbeschädigungen und von inneren und äußeren
Verletzungen auf. Leitende Gesichtspunkte für die Bemessung der Leistungen wur
den die Minderung der Erwerbsfähigkeit sowie die soziale und berufliche Situation,
Kriterien, die bis heute Geltung haben. Ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
um 15% (seit 1923 erhöht auf 25%) wurde eine nach dem Erwerbsfähigkeitsgrad
gestaffelte Grundrente gewährt, zu der ab 50% Minderung als zweite Komponente
eine wiederum gestaffelte Schwerbeschädigtenzulage traf; völlige Erwerbsunfähig
keit wurde ab 90 % Minderung angenommen (§ 27 RVG). Dritter Bestandteil der
Rentenleistungen war die Ausgleichsrente für den in der beruflichen Karriere erlitte
nen Schaden; sie wurde in zwei Stufen gewährt an Personen, deren früherer Beruf
erhebliche Kenntnisse und Fertigkeiten bzw. zusätzlich ein besonderes Maß von Lei
stung und Verantwortung erforderte (§ 28 RVG). Hier wurde die schichtenspezifische
Wirkung des Versorgungssystems am deutlichsten. Die Präzisierung, die wie bei den
meisten Bestimmungen des Gesetzes erst in den Durchführungsverordnungen er
folgte, gibt mit ihrer Liste der Berufe ein Bild davon, welches Sozialprestige in der
Weimarer Republik mit welchen Tätigkeiten verbunden war. Ohne Ausgleichszulage
blieben unter anderem ungelernte Arbeiter, Tagelöhner und mit rein mechanischen
Dienstleistungen beschäftigte Personen. Als Kriterium für die erste Zulagenstufe galt
z. B. der erfolgreiche Abschluß einer Fachschule oder von sechs Klassen einer
höheren Lehranstalt. Die höchste Stufe erhielten neben den freien Berufen Leiter
11 Nitsche, S. 25 f. (mit Modellberechnungen) u. 117.
12 Gesetz über die Versorgung der Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen bei Dienstbeschädi
gung (Reichsversorgungsgesetz), RGBl. 1920, S. 989 ff. Vgl. Whalen, S. 141 ff. Zusammenfas
sung der Gesamtgesetzgebung u. a. bei Syrup u. Neuloh, S. 397 ff.; Ziem, S. 41 ff.; Textaus
zug aus dem RVG bei Stolleis, Quellen, S. 191 ff.