341
Rahmen des Bundes-Selbstverwaltungsgesetzes vom 22. Februar 1951 - mit dem
diese Frage an sich wenig zu tun hatte - durchsetzte 158 und das Ende der zu diesem
Zeitpunkt nur noch in Bremerhaven bestehenden Einheitskrankenversicherung für
das Gebiet der Bundesrepublik damit endgültig besiegelte.
Im Vergleich zur Bizone, für die Hockerts vor allem das Auseinanderfallen von SPD
und Gewerkschaftsbewegung in der Einheitsversicherungsfrage aufgezeigt hat, 159
war die politische Grunddisposition in der französischen Zone für die Einheitskran
kenkasse günstiger. Allerdings ging es hier auch nicht um eine allgemeine, alle
Versicherungszweige erfassende Volksversicherung, sondern um die regional geglie
derte Einheitskrankenkasse, also eine Organisationsform, auf die Vorwürfe wie
„Mammutgebilde“ kaum zutrafen. Sowohl SPD wie Gewerkschaften blieben in
ihren offiziellen Stellungnahmen in der französischen Zone, anders als in der Bizo
ne, bei der Unterstützung der Einheitskrankenkasse. Gleichfalls abweichend von der
Bizone war der Arbeitnehmerflügel der CDU hier, vor allem in Rheinland-Pfalz,
weit stärker als in der Bizone für die Einheitskasse engagiert. Schon dieser Unter
schied in der politischen Konstellation zeigt, daß die Einheitskasse in der französi
schen Zone erheblichen Rückhalt gewinnen konnte. Ausschlaggebend für ihr letztli-
ches Scheitern waren weniger die Erfahrungen mit dem System; nicht von ungefähr
wurde in den Debatten im Südwesten als negatives Beispiel häufiger die Versiche
rungsanstalt Berlin als die Situation in der französischen Zone angeführt. Entschei
dend waren einerseits die Interessen derjenigen Gruppen, die bei einer Nivellierung
der Leistungen zu den Verlierern gehörten, und andererseits die Entwicklung in den
beiden anderen Westzonen, deren Druck sich der Südwesten nicht entziehen konnte.
Die Hoffnung von SPD und Gewerkschaften, die Reform auf Bundesebene zu retten
bzw. als Grundstock für die Bundesregelung zu nehmen, ging allerdings ebenfalls
nicht auf, nachdem die CDU im ersten Bundestag die Mehrheit errungen hatte: Die
Frage der Einheitskrankenkasse wurde dort, zur Überraschung der Oppositionspar
teien, durch einen an sich sachfremden Wiederzulassungsparagraphen im Rahmen
des Sozialversicherungs-Selbstverwaltungsgesetzes 1950/51 zugunsten der Sonder
kassen entschieden. So bleibt auch die Frage Spekulation, ob die regional gegliederte
Einheitskrankenversicherung unter den Bedingungen des wirtschaftlichen Auf
schwungs der 1950er Jahre, dem die Sozialpolitik ihre Expansionsmöglichkeiten
verdankte, nicht auch einen stärkeren politischen Rückhalt hätte gewinnen können.
Im Sinne der „Solidarität“ der Versicherten bedeuteten die Entscheidungen von
1949/51 jedenfalls gegenüber der Situation in der französischen Zone einen Ein
bruch, der noch genauer zu untersuchen sein wird. 160
Der Verlauf der Wiederzulassungsdebatten in der französischen Zone ist auch für
das Verhältnis von Militärregierung und deutschen politischen Kräften interessant.
Wie bereits seit den Frühzeiten der Besatzung zu beobachten, setzten deutsche
politische Kräfte und Interessengruppen verschiedenster Provenienz die Kontroll-
Hierzu Hockerts, Entscheidungen, S. 146-150.
159 Ebd., bes. S. 37 ff., 50 ff.
160 Vgl. dazu unten S. 363 ff.