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Gelegenheiten, bei denen die politischen Frontstellungen faktisch quer zu dem
Schema Besatzungsmacht — deutsche Verwaltung verliefen, Situationen, welche
schriftlich zu dokumentieren die betroffenen deutschen Stellen nicht immer interes
siert waren — wenngleich solche Spuren, einmal entdeckt, sich auch in dem deut
schen Material in der Regel bestätigen.
Die Vielfältigkeit der Überlieferung bringt nicht nur Probleme, sondern hat damit
auch den Vorteil, daß besonders viele Möglichkeiten gegeben sind, Ergebnisse an
anderem Material zu überprüfen und eine insgesamt gesicherte Quellenbasis zu
erreichen.
Aus Forschungsstand und Quellenlage ergeben sich zunächst allgemeine Frage
stellungen für Arbeiten zur französischen Zone: Politische und besatzungspoliti
sche Konzeptionen und Maßnahmen auf deutscher und französischer Seite; Hand
lungsspielräume der Besatzungsmacht und der deutschen Politik; Wirkungsmöglich
keiten außerstaatlicher Kräfte und Interessengruppen; Sachzwänge der Nachkriegs
situation in ihrem Gewicht gegenüber politischen Konzeptionen; strukturelle Rah
menbedingungen für Neuordnungsansätze, aber auch für ihr Scheitern; Verhältnis
der Politik in der französischen Zone zur Entwicklung in den Nachbarzonen; Ursa
chen und Formen der Reaktion der deutschen Bevölkerung auf die Besatzung und
auf die Nachkriegsprobleme.
Solche Fragestellungen erfordern zunächst eine genaue Analyse der jetzt zugängli
chen Quellen, je nach Problemlage gelegentlich bis in kleinste Einzelheiten der
Entscheidungsprozesse und Entwicklungen hinein. Für die Gesamtheit der Besat
zungspolitik ist dies für einen einzelnen nicht zu leisten. Neue Ergebnisse sind daher
vor allem dann zu erwarten, wenn Arbeiten auf Teilbereiche der Politik eingegrenzt,
diese dann aber nicht nur als Spezialthema, sondern unter solchen übergeordneten
Gesichtspunkten untersucht werden. Als Ansatzpunkt für die Untersuchung der
Besatzungszeit im Südwesten wurden Kernprobleme der Sozialpolitik gewählt, die
sich unter allgemeinen Fragestellungen als besonders ergiebig erwiesen.
Sozialpolitisch relevante Fragen haben in den Nachkriegsjahren den größeren Teil
der Arbeit der Landtage beherrscht. Im Vergleich zu der Bedeutung, welche sie in
der praktischen Politik nach 1945 einnahmen, sind sie in der Forschung über die
französische Zone mit Ausnahme der Gewerkschaften in Rheinland-Pfalz, der Er
nährungslage und einiger im Rahmen der wirtschaftsgeschichtlichen Arbeiten ange
sprochener Komplexe dagegen wenig berücksichtigt worden. Da somit fast das
gesamte Untersuchungsfeld unbekannt war, wurde die Arbeit in einer ersten Phase
auf sämtliche die Sozialpolitik berührenden Themen ausgedehnt, und zwar orientiert
an der sehr weit gefaßten theoretischen Definition von Heinz Lampert: Sozialpolitik
ist ihm zufolge die „Summe aller von den jeweiligen Trägern . .. eingesetzten Mittel,
die diese Träger für geeignet halten, um die wirtschaftlichen Lebensbedingungen
von einzelnen und sozialen Gruppen sowie deren soziale Stellung entsprechend den
bei den Trägern der S. vorherrschenden Wert- und Ordnungsvorstellungen zu beein
flussen.“ 45 Diese theoretische Ausgangskonzeption war nach dem konkreten histori
45 Lampert, Sozialpolitik, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 2395.