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V.
Ende des Sonderweges der Sozialversicherung
im Südwesten 1949-1953
Im Gegensatz zur Kriegsopferversorgung, in der die Entwicklung in der Bundesre
publik, wenngleich unter verschlechterten Bedingungen, eher die in der französi
schen Zone erhaltenen Traditionsstränge weiterführte, sind die innovatorischen An
sätze, die sich 1946/48 in der Sozialversicherung entwickelt hatten, ab 1949 zum
größeren Teil wieder rückgängig gemacht worden. Dies galt zwar weniger für die
Konzeptionen wie etwa die Angleichung der Lebensverhältnisse von Arbeitern und
Angestellten, die vielfach mit anderen Instrumantarien weiterverfolgt wurden und in
denen die Zielrichtung der Sozialpolitik in der französischen Zone in wesentlichen
Punkten politisch eher bestätigt wurde. Es galt jedoch zum größeren Teil für den
institutionellen Rahmen, den man für die Realisierung solcher Ziele im Südwesten
gewählt hatte. Ausschlaggebend war dabei nicht die Erfahrung, die man mit den
Reformen gemacht hatte, sondern der allgemeinpolitische Rahmen: Scheitern der
Vier-Mächte-Planungen für eine Sozialversicherungsreform; Durchsetzung der Geg
ner der Einheitsversicherungsbestrebungen in der Bizone; schließlich und vor allem:
die Entstehung von „Trizonesien“, die für regionale Sonderentwicklungen im sozial
politischen Bereich keinen Raum mehr ließ.
Die politischen Auseinandersetzungen um die Angleichung der Sozialversicherungs
gesetzgebung in den drei Zonen und die institutionellen Mechanismen, in denen die
Angleichung teilweise verlief, waren dabei nicht nur für die hier verfolgten Kernbe
reiche des Sozialleistungssystems charakteristisch, sondern auch für das Scheitern
von anderen Neuordnungsansätzen des Südwestens wie in der Mitbestimmung.
Neben zahlreichen kleineren Gesetzen zur Angleichung der trizonalen Gesetzge
bung, auf die nicht im einzelnen eingegangen sei, waren es vor allem drei Komplexe,
die politisch und sozialgeschichtlich das Ende des „Sonderweges“ im Südwesten
markierten: Die Wiederzulassung der Sonderkrankenkassen, die Sozialversiche
rungsanpassungsgesetze und die Bundesgesetzgebung über die Sozialversicherungs
selbstverwaltung. Rechtlicher und politischer Ansatzpunkt wurde, daß das 3. Wäh
rungsreformgesetz die Verantwortung für die Sozialversicherung in einer scheinbar
beiläufigen Formulierung in deutsche Verantwortung zurückgab. 5
Hockerts, Entscheidungen, S. 85 f.