Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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nur auf die Krankenkassen bezog, ging der Militärregierung inhaltlich nicht weit 
genug: sie forderte auch die Wiedererrichtung der demokratischen Organe bei den 
Versicherungs- und Oberversicherungsämtern, 18 Dennoch blockierte sie diese erste 
Etappe nicht, und so konnte das Tübinger Direktorium am 16. Mai 1947, kurz vor 
der Volksabstimmung über die Verfassung und vor der Landtagswahl vom 18. Mai, 
die erste Verordnung der Westzonen über die Wiederherstellung der Selbstverwal 
tung in der Krankenversicherung verabschieden. 19 In Vorstand und Ausschuß der 
Krankenkassen erhielten die Versicherten wieder zwei Drittel der Sitze; der Aus 
schuß war in geheimer Wahl zu wählen und wählte seinerseits den Vorstand. Die 
Befugnisse beider Organe wurden nach der RVO geregelt, die entsprechenden NS- 
Bestimmungen ausdrücklich aufgehoben. 
Die Tübinger Verwaltung hatte also rasche Arbeit geleistet, rascher als die anderen 
Landesregierungen der Zone. Damit war ihre Aktivität aber auch zunächst er 
schöpft. Nach den monatlichen Berichten der Landesdirektion für Arbeit zu schlie 
ßen, war die Sozialversicherungsabteilung 1947 mit einer Fülle mehr oder weniger 
wichtiger Einzelfragen beschäftigt, darunter zahlreichen Detailproblemen des Bei 
trags- und Leistungswesens und der Grundsatzfrage der Neuzulassungen für Ärzte 
und Zahnärzte, die mit der zunehmenden Zahl von Flüchtlingsärzten und Kriegs 
heimkehrern immer dringender wurde; 20 möglicherweise war sie also schlicht überla 
stet. Das allgemeine politische Interesse war durch die Konstituierung des Land 
tages am 3. Juni und die Bildung der ersten parlamentarisch fundierten Landesregie 
rung unter Lorenz Bock am 22. Juli in Anspruch genommen. Erst im Juli wurde die 
Rechtsanordnung im Regierungsblatt veröffentlicht. Im September begannen Be 
sprechungen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern über die Wahlordnung, und im 
Dezember ging den Gewerkschaften der Entwurf zu. Erst nach Mahnung durch das 
Arbeitsministerium antwortete der Bundesvorsitzende und Abgeordnete Fritz Fleck, 
sich mit Krankheit enschuldigend, am 22. Januar 1948 auf einem kleinen Zettel, die 
Gewerkschaften seien mit der Wahlordnung einverstanden mit Ausnahme des Bestä 
tigungsrechtes der obersten Landesbehörden für den Geschäftsführer der Kassen. 21 
Hinzu kam politischer Widerstand seitens der Landesversicherungsanstalt Württem 
berg, welche die bisherige Designationsweise für ausreichend hielt. Die Tübinger 
mußten ihre Sozialwahlen gegenüber der LVA sogar noch damit rechtfertigen, daß 
ein weiterer Aufschub politisch nicht mehr vertretbar gewesen sei. 22 Nach wie vor 
hatte die LVA kein Interesse daran, das ihr 1934 übertragene Recht der Ernennung 
der Krankenkassenleiter wieder in die Verantwortung der Selbstverwaltungsorgane 
18 MR Tübingen an Landesdirektion für Arbeit, 10. 5. 1947;ebd. 
19 Niederschrift über die Sitzung des Direktoriums, 16. 5. 1947; StA SIG Wü 2/774. Rechtsan 
ordnung über die Organe der Krankenkassen, 16. 5. 1947, Reg. Bl. 1947, S. 43 f.; abgedruckt 
bei Zapp, Selbstverwaltung, S. 117 ff. 
20 Vgl. die Berichte in StA SIG Wü 2/449 u. 451 sowie Wü 180/350 u. 394. 
21 Korrespondenz in StA SIG Wü 180/637. Vgl. Monatsbericht des Arbeitsministeriums, Dez. 
1947, StA SIG Wü 2/451, der nur allgemein auf Vorbereitungen zu den Wahlen hinwies. 
22 Besprechung des Arbeitsministeriums Tübingen mit der LVA Württemberg in Tübingen, 
7. 4. 1948; Niederschrift in StA SIG Wü 180/461.
	        
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