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nur auf die Krankenkassen bezog, ging der Militärregierung inhaltlich nicht weit
genug: sie forderte auch die Wiedererrichtung der demokratischen Organe bei den
Versicherungs- und Oberversicherungsämtern, 18 Dennoch blockierte sie diese erste
Etappe nicht, und so konnte das Tübinger Direktorium am 16. Mai 1947, kurz vor
der Volksabstimmung über die Verfassung und vor der Landtagswahl vom 18. Mai,
die erste Verordnung der Westzonen über die Wiederherstellung der Selbstverwal
tung in der Krankenversicherung verabschieden. 19 In Vorstand und Ausschuß der
Krankenkassen erhielten die Versicherten wieder zwei Drittel der Sitze; der Aus
schuß war in geheimer Wahl zu wählen und wählte seinerseits den Vorstand. Die
Befugnisse beider Organe wurden nach der RVO geregelt, die entsprechenden NS-
Bestimmungen ausdrücklich aufgehoben.
Die Tübinger Verwaltung hatte also rasche Arbeit geleistet, rascher als die anderen
Landesregierungen der Zone. Damit war ihre Aktivität aber auch zunächst er
schöpft. Nach den monatlichen Berichten der Landesdirektion für Arbeit zu schlie
ßen, war die Sozialversicherungsabteilung 1947 mit einer Fülle mehr oder weniger
wichtiger Einzelfragen beschäftigt, darunter zahlreichen Detailproblemen des Bei
trags- und Leistungswesens und der Grundsatzfrage der Neuzulassungen für Ärzte
und Zahnärzte, die mit der zunehmenden Zahl von Flüchtlingsärzten und Kriegs
heimkehrern immer dringender wurde; 20 möglicherweise war sie also schlicht überla
stet. Das allgemeine politische Interesse war durch die Konstituierung des Land
tages am 3. Juni und die Bildung der ersten parlamentarisch fundierten Landesregie
rung unter Lorenz Bock am 22. Juli in Anspruch genommen. Erst im Juli wurde die
Rechtsanordnung im Regierungsblatt veröffentlicht. Im September begannen Be
sprechungen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern über die Wahlordnung, und im
Dezember ging den Gewerkschaften der Entwurf zu. Erst nach Mahnung durch das
Arbeitsministerium antwortete der Bundesvorsitzende und Abgeordnete Fritz Fleck,
sich mit Krankheit enschuldigend, am 22. Januar 1948 auf einem kleinen Zettel, die
Gewerkschaften seien mit der Wahlordnung einverstanden mit Ausnahme des Bestä
tigungsrechtes der obersten Landesbehörden für den Geschäftsführer der Kassen. 21
Hinzu kam politischer Widerstand seitens der Landesversicherungsanstalt Württem
berg, welche die bisherige Designationsweise für ausreichend hielt. Die Tübinger
mußten ihre Sozialwahlen gegenüber der LVA sogar noch damit rechtfertigen, daß
ein weiterer Aufschub politisch nicht mehr vertretbar gewesen sei. 22 Nach wie vor
hatte die LVA kein Interesse daran, das ihr 1934 übertragene Recht der Ernennung
der Krankenkassenleiter wieder in die Verantwortung der Selbstverwaltungsorgane
18 MR Tübingen an Landesdirektion für Arbeit, 10. 5. 1947;ebd.
19 Niederschrift über die Sitzung des Direktoriums, 16. 5. 1947; StA SIG Wü 2/774. Rechtsan
ordnung über die Organe der Krankenkassen, 16. 5. 1947, Reg. Bl. 1947, S. 43 f.; abgedruckt
bei Zapp, Selbstverwaltung, S. 117 ff.
20 Vgl. die Berichte in StA SIG Wü 2/449 u. 451 sowie Wü 180/350 u. 394.
21 Korrespondenz in StA SIG Wü 180/637. Vgl. Monatsbericht des Arbeitsministeriums, Dez.
1947, StA SIG Wü 2/451, der nur allgemein auf Vorbereitungen zu den Wahlen hinwies.
22 Besprechung des Arbeitsministeriums Tübingen mit der LVA Württemberg in Tübingen,
7. 4. 1948; Niederschrift in StA SIG Wü 180/461.