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politischen Kontext einzuordnen, in dem ihre Interpretation schwierig ist. Ein fun
diertes Urteil erlaubt der gegenwärtige Kenntnisstand daher erst für Teilbereiche.
Dies führt zunächst zu einem Kernproblem der gegenwärtigen wissenschaftlichen
Diskussion: der mit dem Forschungsstand auch sachlich unmittelbar zusammenhän
genden Quellenlage. Während die amerikanischen Akten teilweise seit bald einem
Vierteljahrhundert in wesentlichen Teilen publiziert, insgesamt seit Jahren zugäng
lich und inzwischen sogar in ihren Kernbeständen auf Microfiche vervielfältigt sind,
während auch die britischen Bestände seit einigen Jahren verwendet werden können,
hielt die französische Archivverwaltung die Militärregierungs- und die Pariser Zen
tralakten bis vor kurzem unter striktem Verschluß. Zudem konnten auch die deut
schen Landes-Bestände im Südwesten infolge der vielfach zögernden Ablieferungs
praxis der betroffenen Verwaltungen oft erst später zugänglich gemacht werden als
etwa die Zentralbestände des Bundesarchivs, welche die französische Zone jedoch
kaum betreffen. Für den Forschungsstand hatte dies vielschichtige sachliche und
technische Folgen. Schon aus rein arbeitsökonomischen Gründen hat sich die Akti
vität der Wissenschaft stärker solchen Themen zugewandt, für welche die einschlägi
gen Materialien zugänglich waren; sie folgte damit der politischen Entwicklung, in
deren Folge der französischen Zone nach der Auflösung der beiden kleinsten Süd
west-Länder fast 30 Jahre lang nur noch ein geringes Interesse entgegengebracht
wurde.
Während eine differenzierte Untersuchung der Hintergründe der politischen Ent
wicklung bei Arbeiten über die britische und amerikanische Zone längst eine Selbst
verständlichkeit ist, sah sich die Detail-Forschung über die französische Zone damit
aber auch sachlich zum Teil in der schwierigen Situation, im wesentlichen solche
Faktoren in die Analyse einbeziehen zu können, die auch schon den zeitgenössi
schen Verwaltungen deutlich geworden waren. Notwendigerweise war deren Urteil
auf deutscher Seite aber durch den politischen Kontext des Kampfes gegen die
Besatzungsmacht und um die eigene Souveränität in vielfältiger Weise beeinflußt, sei
es bewußt — etwa bei manchen Demontagestatistiken —, sei es unbewußt. Dies war
politisch legitim, wirft für die Wissenschaft jedoch Probleme auf; denn damit besteht
die Gefahr, die subjektive Perzeption eines Teils der Zeitgenossen als Ergebnis
historischer Analyse zu werten und auf wissenschaftlicher Ebene die politischen
Kontroversen der Nachkriegszeit weiterzuführen. Unter anderem folgte daraus gele
gentlich eine Tendenz, Ansätze zu Differenzierungen, wie sie sich aus zahlreichen
Berichten zeitgenössischer Beobachter ergaben und, da auch in der deutschen Über
lieferung weithin dokumentiert, in den Arbeiten der letzten Jahre immer deutlicher
erscheinen, nicht unter dem Gesichtspunkt wissenschaftlicher Diskussion zu beur
teilen, sondern als durch spätere deutsch-französische Annäherung beeinflußte,
„wohlwollend-retrospektive Optik“ 41 für irrelevant zu halten.
41 So z. B. Henke, Politik der Widersprüche, S. 51 f., Zitat S. 52. Das hier gezeichnete
Gesamtbild beruhte auf der Prämisse, „positive Aspekte“ müßten „naturgemäß vernachläs
sigt werden“, da „den Hauptmerkmalen der Politik . .. nachgegangen werden“ solle; die
„wichtige Rolle“ z. B. der „Erfahrungen mit Deutschland ... in den Jahren bis 1945“ oder
der „Stellung der Besatzungsmacht im internationalen Rahmen“ könne „nicht weiter ver
tieft werden“ (ebd.). Höher veranschlagte Henke das Gewicht solcher Faktoren 1986 in der
Diskussion der Stuttgarter Tagung; Die französische Deutschlandpolitik, S. 52 f.