Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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Polizei ihm Partikularinteressen einzelner Kassen als Hintergrund nannten, befahl er 
scharfes Durchgreifen, und Frau Breitling wanderte einige Tage ins Gefängnis. 36 * * 
Die Argumentation der Betriebskassenvertreter entsprach spiegelbildlich den Ge 
sichtspunkten ihrer Gegner. Sie verwiesen vor allem auf die besseren Leistungen, die 
sie dank der Übernahme der Verwaltungskosten durch die Betriebe trotz niedrigerer 
Beiträge bieten konnten. Durch den engen Kontakt zwischen Kasse und Versicher 
ten könne insgesamt die Krankheitshäufigkeit gesenkt werden, und die Betriebs 
kasse unterstütze ein wünschenswertes Verstehen zwischen Betriebsführung und Kas 
senmitgliedern ..., was sich geschäftlich und persönlich stets in günstigem Sinne ausge 
wirkt hat. 31 Bei Überführung in die AOK könnten die Krank-Feiernden . .. nicht rasch 
und nachhaltig genug erfaßt und wieder zur Arbeit gebracht werden.™ Damit war ein 
Hauptmotiv der Unternehmerschaft angesprochen: die Bedeutung der Betriebs 
kassen für die Personalführung in den Betrieben und für das Arbeitsklima, aber auch 
für die Kontrolle über die Inanspruchnahme der Kassenleistungen. Eine Reihe von 
Firmen erhielten in Betriebsversammlungen oder über den Betriebsrat entspre 
chende Voten ihrer Belegschaft. In Baden organisierte der Nähseidefabrikant Paul 
Gütermann, Vorsitzender des neuen Landesverbandes der Betriebskrankenkassen in 
Südbaden, schon seit Anfang 1946 eine solche Protestaktion. 39 * Ihr schlossen sich 
teilweise auch örtliche Gewerkschaften an, denen aus Leistungs- und Betreuungs 
gründen an den überschaubaren und von den Betrieben getragenen Kassen lag und 
die ein Übermaß an Verwaltungsaufwand bei den Ortskrankenkassen befürchteten.* 0 
Das Dilemma der Gewerkschaften wurde hier offensichtlich. 
Die Betriebskassenvertreter nahmen in dieser frühen Zeit weitgehend die Rolle der 
Unternehmer in der Sozialversicherungsdebatte wahr. Diese reagierten als Gruppe 
bereits auf die frühen Reformmaßnahmen in Hessen-Pfalz, dem Gebiet, in dem sie 
über den Sozialausschuß des Öberregierungspräsidiums auch früher als in anderen 
Teilen der Zone eine institutionalisierte Mitsprachemöglichkeit erhalten hatten. 41 
Unterlagen in AdO Colmar Cab. Koenig C. 148/Eco V A4; Zitat aus Vermerk Koenigs vom 
4. 2. 1946. Zur Wirkung auf die Ausarbeitung der Reform s. unten S. 252. 
So die Formulierung in einer Eingabe der Maschinenfabrik Raimann in St. Georgen an die 
Militärregierung Freiburg und das Bad. Arbeitsministerium, 28. 2. 1946; AdO Colmar Bade 
2414/6. 
So die Betriebskrankenkasse der I. G. Farben, Werk Rottweil, an die Tübinger Landesdirek 
tion für Arbeit, 14. 6. 1946; StA SIG Wü 180/451. Die AOK sei, weil betriebsfremd (Her 
vorhebung sic), nicht in der Lage, die Interessen des Werks und der Arbeitnehmer in der bisher 
gewohnten Weise zu wahren. 
Rundschreiben Gütermanns an die Leiter der südbadischen Betriebskrankenkassen, 
8. 1. 1946, Abschrift in VdO Lahr Altreg. Az. 1042, mit ausführlicher Darstellung des Nut 
zens der Kassen sowohl für die Betriebe wie - da die Verwaltungskosten vom Betriebsführer 
getragen wurden - füi die Allgemeinheit. 
Wie Anm. 37. Vgl. Les syndicats d’ouvriers du Landescommissariatsbezirk Constance an Hes 
selbarth in Baden-Baden, 22. 2. 1946, unterzeichnet von dem Singener Gewerkschaftsfunk 
tionär und späteren baden-württembergischen Arbeitsminister Ermin Hohlwegler in der 
Firma Maggi; ebd. Weitere Belege in StA SIG Wü 180/608. 
Unternehmer-Vertreter im Sozialausschuß bei der Abt. Arbeit, ORP Hessen-Pfalz, an Präsi 
dialdirektor Bökenkrüger, 22. 1. 1946, LA SP H 13/489 Bl. 307-309, und Protokoll des 
Sozialausschusses, 25. 1. 1946, Archiv LVA RLP.
	        
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