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Vermutung von 1946, 207 daß man aus Sachzwang heraus immer wieder zu diesem
Modell zurückkehren werde. Daß es sich infolge des sowjetischen Einspruchs nicht
durchsetzte, trug insofern zum Scheitern der Kontrollratsplanungen bei, als nun
mehr die 1947 allerseits erwartete (oder gefürchtete) rasche Verabschiedung des
Entwurfs nicht mehr gelang, sondern die komplizierten Verhandlungsmechanismen
des Kontrollratsapparates erneut ihre Schwerfälligkeit bewiesen. Während die alli
ierten Sachverständigen in Berlin unter stundenlangen Detailverhandlungen, über
forderten Dolmetschern und Verzögerungsmanövem stöhnten, gewannen die deut
schen Gegenkräfte Zeit dafür, sich zu organisieren und auf die Westalliierten Druck
auszuüben.
Dennoch lagen die Westmächte Mitte 1947 noch nicht völlig auf der gleichen Linie,
wie dies in der Situation, in der sich zu diesem Zeitpunkt das Sozialversicherungsge
setz befand, schien. Im Winter 1946/47 war die Frage der freiwilligen Weiterversi
cherung für ausgeschiedene Pflichtversicherte von dem Gesamtkomplex abgetrennt
und, wie eine Reihe weiterer Punkte, zu einem eigenen Gesetzentwurf gemacht
worden. Die Problematik erschien den alliierten Sachverständigen jedoch so kompli
ziert, daß sie im April 1947 erneut vorschlugen, zunächst ein Projekt durch eine
interzonale deutsche Expertengruppe ausarbeiten zu lassen. 208 Dies traf ein weiteres
Mal auf sowjetischen Widerspruch, dem sich zwar nicht auf Direktorienebene, aber
im Koordinationskomitee auch die Franzosen anschlossen. 209 Der Grund war, daß
hier nach Urteil von Noiret nicht ein nur technisches Beratungsinstrument geschaf
fen wurde, sondern innerhalb des Kontrollrats ein organisme allemandplus ou moins
representatif und damit ein Präzedenzfall geschaffen werde. 210 Wieder wurde die
Trennungslinie zwischen (akzeptierter) Wirtschaftseinheit einerseits und (abgelehn
ten) politischen Konsequenzen andererseits auf französischer Seite also scharf gezo
gen. Die Franzosen akzeptierten interzonale deutsche Expertengruppen zur techni
schen Vorbereitung alliierter Entscheidungen, doch sie akzeptierten nicht, daß sol
che Gremien politischen Repräsentationscharakter erhielten. Die Frage, wo die
Grenzlinie zwischen beiden verlief, war allerdings zusehends schwieriger zu beant
worten, nachdem die politischen Repräsentationskörperschaften in der Bizone in
vollem Aufbau begriffen waren und Amerikaner und Briten für die Expertenstel
lungnahmen auf diese zurückgriffen. Die von den Anglo-Amerikanern getroffenen
Entscheidungen begannen auch hier ihr Eigengewicht zu entwickeln und die Franzo
sen, wie diese seit Herbst 1946 intern vorausgesehen hatten, in den Sog der Bizonen-
Entwicklung zu ziehen.
207 Vgl. Protokoll der 2. Wirtschafskonferenz Berlin-Zone, 4./5. 9. 1946, Plenarkonferenz
S. 12 f., AdO Colmar C. 831 p. 62.
208 Franz. Protokoll der Sitzung des Sozialversicherungsausschusses, 11.4. 1947; AdO Colmar
GFCC C. 828/TRA 8. Auf der Ebene des Arbeitsdirektoriums (12. 5. 1947; vgl. CORC/
P(47) 138, 6. 6. 1947, in AdO Colmar GFCC C. 828/TRA 18) erhoben die Sowjets bereits
Einspruch dagegen.
209 Protokoll CORC/M(47) 29, Sitzung vom 17. 6. 1947; AdO Colmar GFCC C. 828/TRA 18.
Vgl. Bericht des Arbeitsdirektoriums 21. 5. 1947, DMAN/Memo (47)29; MdAE Y
(1944-1949) 637.
210 Telegrammbericht Noirets an Zivilkabinett Baden-Baden und Commissariat Paris, 19. 6.
1947; AdO Colmar GFCC 2640.