Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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Der in unserem Zusammenhang entscheidende Streit entbrannte jedoch um die 
Frage, welche Rolle der Kontrollrat hier spielen solle. Die Amerikaner erklärten, es 
sei paradox, von der Einfiihrung demokratischer Institutionen zu sprechen, wenn diese 
verpflichtend seien, und die Sowjets stimmten dem zu. Franzosen und Briten zeigten 
demgegenüber ein größeres Mißtrauen gegenüber deutschen demokratischen Initia 
tiven und verlangten die obligatorische Einrichtung der Beiräte; undemokratisch sei 
dies nicht, da es darum gehe, die Benutzer einer öffentlichen Verwaltung an dem 
Funktionieren dieser Verwaltung zu beteiligen, wie der Franzose formulierte.'“ Hier 
lag der Kern der unterschiedlichen Demokratisierungskonzeptionen: Die Amerika 
ner verstanden unter „Demokratisierung“ vor allem Entscheidungsfreiheit der Deut 
schen, die Franzosen und hier auch die Briten dagegen die Einführung von Institu 
tionen in Deutschland, die nach ihrem Urteil demokratisch waren. Eine einheitliche 
Lösung kam im Kontrollrat trotz jahrelanger Diskussion nicht mehr zustande, und 
so erfolgte eine zonenbezogene Rechtszersplitterung, gegen die insbesondere die 
Franzosen sich in dieser Sache verhement ausgesprochen hatten. 1 ” Als Grundpro 
blem durchzog diese Demokratisierungskontroverse jedoch einen großen Teil der 
politischen und sozialpolitischen Auseinandersetzungen unter den Alliierten, so 
auch in der Sozialversicherungsdiskussion. 
Während der Beratungen des Arbeitsdirektoriums im Frühjahr 1946 akzeptierten die 
Amerikaner und, mit Verzögerung, auch die Briten * 154 und die Franzosen das Prinzip, 
für die Sozialversicherung Richtlinien auf Kontrollrats-Ebene aufzustellen. 
Die Franzosen verfolgten hier also, ebenso wie bei der Debatte um die Beiräte der 
Arbeitsämter und bei dem Betriebsrätegesetz, das Prinzip der Wirtschaftseinheit 
weiter. Erleichtert wurde es ihnen dadurch, daß die Renten- und Invalidenversiche 
rung organisatorisch dezentralisiert und auf Länderebene zusammengefaßt werden 
sollte. Details der Gesetzgebung sollten den Deutschen überlassen werden. Sachlich 
entsprach die Konzeption den Grundzügen der seit Sommer 1945 in der französi 
schen Zone angelaufenen Planungen. 155 Insbesondere die Briten insistierten jedoch 
auf einer wesentlich genaueren Prüfung der wirtschaftlichen und sozialen Konse 
quenzen der vorgesehenen Beitragsregelungen. 156 Damit intensivierte sich die Rück 
kopplung zwischen Berlin und Baden-Baden. Wie zu zeigen sein wird, wurden die 
ursprünglichen Baden-Badener Planungen jetzt detailliert mit den provisorischen 
Vorgaben des Kontrollrates abgestimmt. 
Während die französische Kontrollratsdelegation mit der Zonen-Finanzdirektion 
verhandelte, gingen die Berliner Beratungen weiter, und Mitte März einigte sich das 
Zitate: Arbeitsmarktausschuß, 16.3. 1946. 
Protokolle 1946—1948, wie Anm. 151, und Gewerkschaftsausschuß, Ado Colmar GFCC C. 
828 TRA 8. 
154 Die Briten hatten zu dieser Zeit auch deutschen Interessen Vertretern in ihrem Hauptquartier 
in Bad Oeynhausen mitgeteilt, daß sie gegen eine alliierte Sozialversicherungsgesetzgebung 
für Deutschland seien; vgl. dazu unten S. 246. 
Zu den Planungen in der Zone siehe unten S. 250 ff. 
156 Protokolle des Arbeitsdirektoriums DMAN/M (46) 2, Sitzung vom 22. 1. 1946, und 
DM AN/M (46)4,9. 2. 1946, in AdO Colmar GFCC C. 1174.
	        
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