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1946 im internen französischen Entscheidungsprozeß die Entwicklung in vollem
Gang, die später rückblickend vielfach als eine Wende der französischen Politik
während der Moskauer Außenministerkonferenz im Frühjahr 1947 interpretiert wur
de. Mit den französischen Memoranden zur Deutschlandfrage, die am 17. Januar
und 1. Februar 1947 im Vorfeld der Moskauer Konferenz vorgelegt wurden, war
jedoch nur eine Etappe erreicht, deren Vorbereitung weit zurückreichte.' 30
Bei den französischen Vorschlägen für die Einrichtung von bureaux allies zur Siche
rung der deutschen Wirtschaftseinheit im Sommer 1946 handelte es sich ebensowe
nig wie bei der „Wende“ von 1947 um völlige Kehrtwendungen der französischen
Politik. Die Möglichkeiten, die hier praktische Politik wurden, waren seit dem Ende
der Potsdamer Konferenz nicht nur intern, sondern auch in den offiziellen Formulie
rungen der französischen Politik angelegt. Die allgemeine politische Entwicklung
war aber über die Franzosen hinweggegangen. Es ist Spekulation zu überlegen, ob
eine präzisere Formulierung der französischen Vorstellungen und eine bereitwillige
re Verhandlungsführung vor allem von seiten der Amerikaner 1945 nicht die Blok-
kierung der Zentralverwaltungsfrage hätte verhindern können. Die bislang bekann
ten Akten legen diese Vermutung nahe; sie deuten allerdings auch darauf hin, daß
die Franzosen de facto den Sowjets die Kastanien aus dem Feuer geholt haben, wie
Kennan und später auch Clay annahmen, und die Zeijtralverwaltungsfrage sonst
eben an diesen gescheitert wäre.
Im Rahmen dieser Arbeit geht es weniger um die Frage, welche Realisierungschan
cen eine solche Trennung von Politik und Wirtschaft hatte. Zumindest standen die
Franzosen mit derartigen Planungen nicht allein. So ging Wilhelm Röpke, der zu den
schärfsten Kritikern der alliierten Wirtschaftspolitik gehörte, 1945 in seinen Forde
rungen nach einer möglichst weitgehenden politischen Dezentralisierung des Rei
ches ganz selbstverständlich davon aus, daß diese bei Erhaltung der wirtschaftlichen
Einheit zu geschehen habe; 131 1948 kritisierte er verblüfft, daß den Alliierten dies
keineswegs so selbstverständlich erschienen war. 132 In unserem Zusammenhang ist
wesentlich, daß die offenbar 1945 nicht ausgeloteten Differenzierungsansätze in der
französischen Politik auf der Ebene der praktischen Politik der Militärregierung
jedenfalls ihre Wirkung entfalteten. Hier ist ein politischer und konzeptioneller
Hintergrund dafür zu suchen, daß die Franzosen sich im sozialpolitischen Bereich
vielfach enger an zonenübergreifende Planungen des Kontrollrates hielten und in
einigen Bereichen die in Berlin erarbeiteten Konzeptionen auf Zonenebene weiter
gehend verwirklichten, als dies bei Briten und Amerikanern der Fall war. Die Ausar
beitung der Sozialversicherungsreform vom April 1946 ist bis in die Details der * So
Texte in: Documents fran^ais, S. 42—64; zu Frankreichs Position während der Moskauer
Konferenz siehe fast die gesamte Literatur zu den Ost-West-Beziehungen in den Nach
kriegsjahren; ausführlich u. a. Willis, The French, S. 41 ff.
Röpke, Die deutsche Frage, ‘1945.
So ebd. ^ 1948, S. 282 f. Wenn Röpke die Wirtschaftseinheit hier nur auf die drei Westzonen
bezog, so nicht aus ökonomischen Gründen, sondern weil die Trennung von der SBZ
inzwischen politisch erfolgt war.